„Die Natur leidet unter multiplem Organversagen ...“. Auf der Fahrt durch die sonnenverbrannte Landschaft Südandalusiens habe ich mich mit meinem spanischen Botanikerfreund auf ein Gespräch über die Folgen des Klimawandels eingelassen. „Wir werden gerade Zeuge, wie die Spirale der Evolution eine weitere Drehung vollführt“, setze ich, nicht ohne eine gewisse Theatralik, zu meiner eigenen Spirale an.
„Feinstaub- und schadstoffbelastete Luft, chemisch verseuchte Böden, dazu die Trockenheit bei steigenden Temperaturen, sinkende Grundwasserspiegel - vom Ausbleiben der Regenfälle im gewohnten Rhythmus der Jahreszeiten ganz zu schweigen - , all das setzt den Lebewesen gehörig zu ... und ganz besonders den Pflanzen, deren Widerstandskräfte schwinden, sodass sie Schädlingen, Krankheiten, Seuchen zum Opfer fallen. Wer erinnert sich nicht des massiven Ölbaumsterbens in Südeuropa - dem in Apulien, auf den Balearen und in der spanischen Levante Millionen dieser wunderbaren Bäume zum Opfer fielen?“
Wie groß ist die Resilienz? Nachdenkliche Antwort des Botanikers: „Höchste Zeit, dass man versucht, sich ein Gesamtbild zu machen - und zwar ganz pragmatisch.“ ---- „Pragmatisch?“ ---- „Indem wir uns einen ersten, grob gerasterten Überblick verschaffen und eine Liste aufstellen: Welche Arten in welcher Weise mit den alten oder neuen Stressfaktoren umzugehen verstehen. Wobei wir vorerst annehmen wollen, dass der wichtigste Auslöser des 'Multiorganversagens', wie du es nennst, oder wie ich sagen würde: der Motor jener evolutionären Beschleunigung der Klimawandel ist. Der sich im globalen Süden - von Kalifornien bis Südafrika, von unserer geliebten Méditerranée bis nach Australien - als zunehmende Austrocknung der Landschaften geltend macht.“ ---- „Wenn ich dich recht verstehe, sollten wir also die Regeln der Evolution auf den Ist-Zustand der Vegetation anwenden (in unserem Fall ist es die mediterrane) und unter dem Gesichtspunkt der Fitness eine Rangordnung aufstellen: Wie die Vegetation mit den Auswirkungen des Klimawandels mehr oder weniger gut zurecht kommt.“ ---- „Nun, vielleicht nicht gleich die Vegetation als ganze (was schon wegen der schieren Größe des Untersuchungsgegenstands unsere Mittel und Möglichkeiten rasch erschöpfen würde) ... aber wenigstens die auffälligsten Vertreter besagter Vegetation, die Bäume, sollten wir uns ansehen. Und das in einer repräsentativen Umgebung, die wir beide gut genug kennen, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen: die Landschaft, durch die wir gerade fahren.“
Die Liste der Bäume. Versuch einer Resilienz-Abschätzung, gewonnen aus persönlicher Anschauung.
Allgemein gesagt, finden sich in dieser Rubrik besonders viele Neophyten (Arten, die aus nicht-europäischen Gebieten stammen), nämlich:
An ‚einheimischen‘ Arten zeigen hohe bis sehr hohe Resilienz:
2. Arten mit lediglich mittlerer bzw. uneinheitlicher Resilienz (sehr standortabhängig):
3. Arten mit schwacher bis sehr schwacher Resilienz (ebenfalls standortabhängig):
In Darwins Labor: Ökologie auf dem Prüfstand. Prinzipiell ist anzumerken, dass einheimische immergrüne Baumarten wie Stein- oder Korkeichen schlechter abschneiden als ihre laubwerfenden nahen Verwandten (so heißt es von der Steineiche, Quercus ilex, dass sie „wirklich empfindlich auf Trockenheit reagiert“, während etwa die Trauben-Eichen, die sogar nördlich der Alpen vorkommen, zwar „empfindlicher gegen Nässe [...], gleichzeitig aber auch trockenheitsresistenter [sind]“. Ebenso schneiden Nadelgehölze (z.B. die an und für sich als robust geltende Aleppo-Kiefer, Pinus halepensis), aber auch Palmen unerwartet schlecht ab. Hitze- und Dürrestress führt bei ihnen besonders häufig zur Schwächung des Immunsystems, zu vermehrtem Schädlingsbefall, zu diversen bakteriellen und Viruserkrankungen.
Weiterführende Texte und Links:
Dagegen scheinen Neophyten - aus subtropisch-trockenen Herkunftsgebieten - sowie laubwerfende einheimische Spezies mit Hitze- und Trockenheitsstress besser zurechtzukommen. Alles in allem scheinen der mediterranen Landschaft große Verschiebungen der Vegetationszonen und innerhalb dieser Zonen merkliche Veränderungen der Artenzusammensetzung bevorzustehen. Dürreschäden, Seuchen und Schädlingsbefall werden vor allem unter Monokultur-ähnlichen Verhältnissen zunehmen (z.B. in Aufforstungsgebieten mit nur wenigen Arten oder in den großen landwirtschaftlichen Monokulturen und Plantagen). Generell wird es in weiten Teilen der Mittelmeerwelt zu Ernterückgang, ja totalem Ernteausfall kommen. Als Hoffnungsgebiete für die bedrohte ‚einheimische‘ Pflanzenwelt der Méditerranée werden sich unter Umständen und bei weiter fortschreitender ‚Mediterraneisierung‘ des west- und zentraleuropäischen Klimas Gebiete nördlich und nordöstlich des Alpenhauptkammes, insbesondere die vom pannonischen Klima beeinflussten Zonen Osteuropas, aber auch die Regionen westlich und östlich der Rheinebene erweisen. Wenn die Anzeichen nicht trügen …
Ein paar Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Bild oben: Mehrere unterschiedlich trockenheits- und dürreresistente mediterrane Baumarten; im Vordergrund drängt Wilder Ölbaum ins Bild - sehr widerstandsfähig! Im Hintergrund verschiedene Zypressen-Arten, von eher mittelmäßiger Dürreresistenz.
Bild unten: Im Vordergrund Grevillea robusta, die Australische Eiche, ein sehr resilienter Neubürger der Mittelmeerwelt; im Hintergrund eine eher weniger resiliente, dürre- und krankheitsanfällige einheimische Spezies: Cupressus sempervirens, die Mittelmeer-Zypresse.
Bild oben: Zustand einer Grevillea robusta (Herkunftsgebiet: Australien), in einem südspanischen Aufforstungsgebiet, nach dreijähriger Dürreperiode (2021-24) am Ende des Sommers.
Bild unten: Spätsommer in einem andalusischen Waldstück. Drei hitze- und dürreresistente Baumarten in Mischkultur: Trauben-Eiche, Quercus petraea (im Vordergrund), Persischer (Indischer) Flieder, Melia azedarach (im Mittelgrund), Silberpappel, Populus alba (im Hintergrund).
Trauben-Eiche, Quercus petraea, in einem südspanischen Arroyo (Trockental) nach dreijähriger Dürreperiode (2022-24) im Spätsommer.
Detailansicht (Blattwerk):
Bild unten: Junge Ölbäume der Sorte Manzanilla im Süden Spaniens - Situation am Ende des Sommers 2024, nach rund 3-jähriger Dürreperiode. Auf den folgenden Bildern ist der Zustand der Blätter zu sehen.
Bild unten: Die Japanische Mispel, Eriobotrya japonica, gedeiht nicht nur in großen Plantagen an der Küste, wo sie wegen ihrer süßen, für den Export recht gut geeigneten Früchte gezogen wird, sondern auch frei im Gelände, im trockenen Hinterland Andalusiens.
Peruanischer Pfefferbaum, Schinus molle.
Die Araukarie, Araucaria araucana, stattlich und klimafit.
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Was ich noch sagen wollte ... Leserinnen und Lesern dieses Blogs, sofern sie über einschlägige botanische Kenntnisse verfügen, wird vielleicht aufgefallen sein, was in der oben veröffentlichten Liste alles nicht erwähnt ist, so die Zitrusbäume, die Feigen, die Mandeln. Ein Argument könnte sein, dass man diese eher als Kultur- und Gartenpflanzen ansehen mag, die einer ständigen gärtnerischen Pflege, notabene Bewässerung bedürfen, womit sie für unsere Untersuchung gerade keine typischen Kandidaten wären.
Wobei das für den Mandelbaum, Prunus dulcis, natürlich nur bedingt gilt. Zumindest der gehörte noch auf die Liste - dort müsste er als relativ resilient in Gruppe 2 stehen. Wer jetzt, am Ende des Sommers, mit offenen Augen durchs Land fährt, wird bemerken, dass auf den Südhängen die Mandelbäume ganz entlaubt und, wenn man den andalusischen Bauern als den wahren Experten Glauben schenken darf, abgestorben sind. Also doch ein heikler Patron? Die Groß-Agrarier, z.B. in Kalifornien, sehen das wohl ähnlich - und bewässern ihn kräftig. Dass sie die Bäume auch noch fleißig spritzen und mit Kunstdünger auf Vordermann bringen, ist zwar vielleicht nicht die feine ökologische Art, passt aber gut ins Bild der Mandel als Pflanze des Agro-Business. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte ...