All the leaves are brown (all the leaves are brown) / and the sky is gray (and the sky is gray) / I've been for a walk (I've been for a walk) / On a winter's day (on a winter's day) / I'd be safe and warm (I'd be safe and warm) / If I was in L.A. (if I was in L.A.) / California dreamin' (California dreamin') / On such a winter's day (The Mamas and the Papas, 1965)
Als ich mich als grüner Junge, unreif und naiv, mit einer mir heute mythisch vorkommenden Verve aufs Abenteuer der Neuen Welt einließ (in der sympathischen, nämlich kanadischen Varante) und studierend, Überland-Transporte begleitend, Seniorenheimen als Mädchen für alles dienend, Bauarbeitern zur Hand gehend und im Dienst der lokalen Naturschutzbehörde auf einsamen Hochständen den Horizont nach Rauchsäulen absuchend das weite Land meiner Sehnsüchte und Träume erkundete, fiel mir eines Tages das seltsamste Buch in die Hände, das mir bis dahin untergekommen war – und heute kann ich sagen, dass es tatsächlich das seltsamste Buch ist, das einem wie mir unterkommen konnte.
Der schöne Name des Wälzers: The Whole Earth Catalog. Großformatig und asketisch, mit seinem rauen Papier und groben Druck irgendwie archaisch, auf jeden Fall aus der Zeit gefallen wirkend, war es ganz im Gegenteil das Zeitdokument schlechthin. Die folgenden Zeilen sind diesem Dokument, seinen Meisterdenkern und Followern gewidmet.
„Stay hungry. Stay foolish“: The Whole Earth Catalog. Am 1. September 1968 erschien die erste Nummer gleich mit einem optischen Paukenschlag („optischer Paukenschlag“, eine zugegebener Maßen schräge Metapher, doch einem zugegebener Maßen schrägen Produkt wohl angemessen): Die erste Nummer des Whole Earth Catalog zeigte auf ihrem Cover das aus dem Weltall aufgenommene Farbbild der Erde, ein digitales Bildmosaik, das 1967 als eines der ersten realen Abbilder des Blauen Planeten vom Satelliten ATS-3 aufgenommen worden war.
The Whole Earth Catalog # 1 (1968) © Wikipedia
Wie wir lesen, „war der Whole Earth Catalog (WEC) ein Magazin der amerikanischen Gegenkultur und ein Produktkatalog, der zwischen 1968 und 1972 mehrmals im Jahr und danach gelegentlich bis 1998 von Stewart Brand herausgegeben wurde. Das Magazin enthielt Essays und Artikel, konzentrierte sich jedoch hauptsächlich auf Produktrezensionen. Der redaktionelle Schwerpunkt lag auf den Themen Selbstversorgung, Ökologie, alternative Bildung, ‚Do it yourself‘ (DIY) und Ganzheitlichkeit und stand unter dem Motto ‚Zugang zu Werkzeugen‘.“ * Lange nach Erscheinen der letzten Nummer verglich ein gewisser Steve Jobs in seiner Eröffnungsrede an der Stanford University im Juni 2005 den Whole Earth Catalog mit der Internetsuchmaschine Google: Als ich jung war, gab es eine erstaunliche Publikation namens „The Whole Earth Catalog“, die eine der Bibeln meiner Generation war … Es war so etwas wie Google in Taschenbuchform, 35 Jahre bevor Google auf den Markt kam. Es war idealistisch und voller toller Werkzeuge und toller Ideen. – Soviel zum Thema Geschichtsmächtigeit gewisser Dinge und Erscheinungen. Am Schluss seiner Stanford-Rede zitiert Jobs die Abschiedsbotschaft auf der Rückseite der letzten Ausgabe des Katalogs von 1974 („Whole Earth Epilog“): Stay hungry. Stay foolish. Was war da passiert? Welche geheimnisvolle Verbindung von Zukunftsgläubigkeit, Kritik am Technizismus und Technologiebejahung, von Pragmatik und Utopie hatte sich da auf grobem Papier zu Wort gemeldet? Oder sollte man besser sagen gezeigt? Wieder einmal geht es – pure and simply – um Geschichte.
Ursprung und Ideale einer Bewegung. 1965 erfand der US-amerikanische Dichter Allen Ginsberg ein Wort, das die kulturelle, politische, soziale, psychische und philosophische Befindlichkeit einer ganzen Generation, einer weltweiten Bewegung prägen sollte – einen jener seltenen Schlachtrufe in der an Schlachtrufen so reichen Menschheitsgeschichte, die gerade nicht zum Kampf aufrufen (oder doch?). Allen Ginsbergs Schlagwort Flower-Power bündelte die Ideen eines humaneren und friedlicheren Lebens des modernen Individuums zur zeitlosen Vorstellung einer Versöhnung von Mensch und Mensch, Mensch und Natur. Ginsbergs „Blumenmacht“ wurde zum Synonym der Hippiebewegung.
„If you’re going to San Francisco …“ ** Die von San Francisco ausgehende Hippiebewegung „stellte die ihrer Meinung nach sinnentleerten Wohlstandsideale der Mittelschicht in Frage und propagierte eine von Zwängen und bürgerlichen Tabus befreite Lebensvorstellung. Im Vergleich zur 68er-Bewegung […] dominierten dabei stärker gemeinschaftliche (Selbstverwirklichung) als gesellschaftspolitische Konzepte, teilweise überschnitten sich die Ideale der Bewegungen.“ *
‚Hip‘, angesagt war für das flower child der 1960er und frühen 1970er Jahre die Gegenkultur einer Jugendbewegung, die sich naturverbunden und konsumkritisch auf den Weg gemacht hatte in eine friedlichere und humane Welt, und zwar, wie sie meinte, befreit und frei von den zeitgenössischen Lebens- und Moralvorstellungen. Da schloss sich ein Kreis: Denn diese Ideale wurden in neuartigen Gemeinschaften umgesetzt. Man kann das Eskapismus nennen. Zumal sich die Dinge sehr oft in ländlichen Gemeinschaften, rural communities abspielten, wo sich besagte Ideale, wie es schien, leichter umsetzen ließen. Eine eigenartig elitäre Stadtflucht war das, diametral entgegengesetzt dem säkularen Trend der Massen. ***
Ist die Geschichte dialektisch? Manche sagen ja. Den Niedergang der Hippiebewegung besiegelte ihre Kommerzialisierung in Mode und Popkultur. Apolitisch im Sinne des tagespolitischen Engagements, wie sich die Mehrheit ihrer Adepten verstand, war man gegen die Verführungen des eigenen Mythos wehrlos. „[Es] handelt sich […] um ein Übergangsphänomen von den rationalistischen Fortschrittserzählungen der Moderne (darunter auch 68er-Bewegung und Sozialismus) hin zur Neomystik der Postmoderne“ (Link: Hippiebewegung).* Von historischer Logik geprägt sind denn auch die ‚Fortsetzungserzählungen‘ des Hippietums. Die Punks (etwa seit 1977), aber auch deren Antagonisten, die hedonistisch-erfolgsorientierten Yuppies (eine neue Generation fröhlicher Kapitalisten seit den 1980ern) ziehen eine scharfe Grenze zum Innerlichkeitsdenken, zur aufgesetzten Sanftheit der Blumenkinder. Aber auch zu deren Naturliebe. Die empfanden sie als verlogen. Was durchaus nicht folgenlos blieb für die weitere Entwicklung der Umweltbewegung.
Erben der Blumenkinder? Historiker, Historikerinnen zeigen eine ausgeprägte Abneigung gegen zu kurz gezogene genealogische Linien. Den Zeithorizont so tief wie möglich anzusetzen, ist ihnen oberstes Gebot und Ausdruck intellektueller Redlichkeit. Ein Phänomen wie die Umweltbewegung datiert der Historiker Joachim Radkau denn auch nicht etwa in die hoch- und spätfordistische Ära des US-Kapitalismus – die Blütezeit der Blumenkinder, Indienfahrer und Landkommunarden –, sondern verfolgt es weit in die Vergangenheit, beispielsweise bis in die Zeit um 1800, als in Europa eine große Debatte rund um verwüstete, ausgeplünderte Wälder – Stichwort Holznot – den Diskurs der tonangebenden Denker und Macher befeuerte. „Die Ängste vor der Holznot, einer Versorgungskrise beim Rohstoff Holz, kamen parallel zum ‚Naturkult‘ der Wald-Romantik zu Zeiten der Aufklärung auf. In der Folge wurden der deutschsprachige Raum zum Vorreiter der Aufforstung und Japan zum Pionier einer nachhaltigen Forstwirtschaft“ (Link: Geschichte der Umweltbewegung).* Von den USA war in dieser Hinsicht noch lange nichts zu hören. Erste Korrektur.
Die zweite Korrektur betrifft das ideologische Moment. Eine philosophische, soziale und politische Bewegung wie die ökologische fällt nicht vom Himmel und hat ihre Wurzeln in einer Vielzahl einander nicht selten diametral entgegenstehender Erzählungen und Überzeugungen. Einzige aber wichtige Schnittstelle ist der Wille zur Neugestaltung der Verhältnisse zwischen Mensch und Natur. Phänomenologisch (also vom gegenwärtigen Zustand aus betrachtet) reicht die Spannweite dieses Willens zur Neugestaltung von weit Rechts bis weit Links, „von Unternehmen bis zu Graswurzelbewegungen […]. Aufgrund ihrer großen Mitgliederzahl, ihrer unterschiedlichen und starken Überzeugungen und ihres gelegentlich spekulativen Charakters ist sich die Umweltbewegung in ihren Zielen nicht immer einig. Die Bewegung umfasst auch einige andere Bewegungen mit einem spezifischeren Fokus, wie z. B. die Klimabewegung. Im weitesten Sinne umfasst die Bewegung Privatpersonen, Fachleute, religiöse Anhänger, Politiker, Wissenschaftler, gemeinnützige Organisationen und einzelne Befürworter“ (Link: Geschichte der Umweltbewegung).* Wenn es erst einmal auf Wikipedia steht, haben es die Spatzen längst von allen Dächern gepfiffen.
Die lange Genealogie des Umweltschutzes. Nach Radkau leidet die Umweltbewegung an Geschichtsblindheit. An ausgeprägtem Desinteresse für die historisch-kulturellen Wurzeln des Phänomens, als deren einzig wahre Vertreter die jeweiligen Akteure gesehen werden möchten. So ist ein großer Teil der heutigen europäischen Umweltszene der Ansicht, sich auf die amerikanische Naturschutzbewegung des 19. Jahrhunderts zurückführen zu sollen, obwohl die genuin europäischen Wurzeln ökologischer Sensibilität, vermittelt über die Jagd- und Forstwirtschaft, bis weit in die Frühe Neuzeit, ja bis ins Mittelalter hinabreichen. Soviel zum Thema falsche Bescheidenheit.
Was die Zeitgeschichte betrifft, so ist auch der moderne Relaunch des Natur- und Umweltschutzes, seine Internationalisierung und Einbettung in Weltpolitik ein europäisches Ereignis. „Das Europäische Naturschutzjahr 1970, die erste europaweite Umweltkampagne mit über 200.000 Aktionen, gilt als Geburtsjahr der modernen Umweltbewegung. 1971 [wurde …] ein internationaler Zusammenschluss von Umweltschutzorganisationen gegründet, die Friends of the Earth: 2011 mit über zwei Millionen Mitgliedern und Unterstützern in 76 Ländern vertreten.“ *
Und auch dieser ‚Relaunch‘, diese Wiederaufnahme steht nicht isoliert da, sondern zieht ihre Geschichtsmächtigkeit aus einer langen und verästelten Vorgeschichte, von der jener ‚mitteleuropäische Weg‘ (grosso modo die Traditionen im deutschsprachigen Raum) selbst wieder nur ein einzelner Aspekt ist.****
Langer Abschied von den Blumenkindern (In deutschen Landen). Aus dem Vergessen, Vergessenwollen ihrer romantisch-nationalistischen Anfänge heraus suchte die Umweltbewegung in Deutschland eine neue Startposition. Dafür bot sich – als einer der vielen Seitenzweige der Studentenrevolte – die Politische Ökonomie an. Gleich der arbeitenden Menschheit sei auch die Natur durch die industrielle Wirtschaftsweise bedroht. Stoßrichtungen waren Atomwirtschaft und Chemiepolitik, Waldsterben und Tropenwaldvernichtung sowie die Gefährdung der Erdatmosphäre (Stichwort Ozonloch; CO2 war in den 1980er Jahren noch nicht auf dem Radar). Für die DDR-Umweltbewegung bestand das Politische in Sozialismuskritik. Umweltprobleme nannte die politische Klasse „Überbleibsel des Kapitalismus“ und machte Ökologie zum Tabuthema.
Die wichtigsten kulturellen Formen dieser Bewegung bezogen ihre Legitimation jetzt nicht mehr aus der sozial, ethisch, religiös-philosophisch oder naturalistisch unterfütterten Empathie für Natur als die große Andere sondern aus dem Pathos, das eine neue Leitwissenschaft zu erlauben schien – die Ökologie (auch als Politische Ökologie). „Indem das Wort ‚Ökologie‘ […] Eingang in die tägliche Umgangssprache fand, veränderte sich seine Bedeutung. Die zunächst neutrale ökologische Wissenschaft wurde positiv besetzt, sodass ‚ökologisch‘ gleichbedeutend wurde mit ‚umweltverträglich, sauber, rücksichtsvoll, biologisch abbaubar, unbedenklich‘ etc.“*
Doch verschlungen sind die Wege der Historie. Die, wie der Netzeintrag sie nennt, „subkulturellen Formen“, schlugen sich „in einem ‚alternativen Lebensstil‘ nieder […, der] sich in den ausgehenden 1970er-Jahren zunehmend ausdifferenzierte. Besonders deutlich war die Abgrenzung zur zeitgleichen Discoszene und zu den Poppern. Die Ökoszene entwickelte eine charakteristische Ästhetik, die sich aus der Hippie-Ästhetik entwickelte …“ (Link: Geschichte der Umweltbewegung).*
Da sind wir wieder. Und nein. Ich habe auf das zentrale Anliegen dieser Untersuchung nicht vergessen: Einem der seltsamsten Bücher meiner Jugendzeit ‚kanadischen Angedenkens‘ ein Plätzchen frei zu machen in der Geschichte des Umweltschutzes, wie sie sich mir heute darstellt. Makro- und Mikrogeschichte sind verzahnt, ein Buch ist verzahnt mit einer Bewegung und diese mit Ambitionen und Affekten – und alles von weit hergekommen auf ziemlich verschlungenen Wegen, die dem Anschein nach oder auch tatsächlich mit einer sogenannten Nationalgeschichte (hier: the American way) verbunden sind, was man aber nur im Nachhinein so wohlfeil sagen und behaupten kann.
Thoreau, Emerson, Muir. Drei Väter der amerikanischen Umweltbewegung. Keine Ökologiegeschichte der USA kommt an den Schutzheiligen jenes weiten Feldes mit den undeutlichen Grenzen vorbei, das der amerikanische Mythos als wilderness bezeichnet. Ohne sie wäre das Heroische und Transzendentale an besagter Wildnis wohl nie entdeckt worden; ohne sie hätte es besagte Wildnis schwerlich zum Core value, zum innersten Kern amerikanischer Robustheit, Ursprünglichkeit und Identität gebracht. Denn entgegen einem anderen Mythos waren es gerade nicht die Eroberer des Westens, die dem politisch-kulturellen Begriff ‚Großartigkeit‘ – und logischer Weise kann das nur die Großartigkeit eines Raumes, Großartigkeit von Landschaft und Natur sein – seine naturrechtliche Würde, Unangreifbarkeit und identitätsstiftende Wirkung gaben, sondern Männer der Feder, des Wortes und der Kontemplation von der Ostküste.
Am 4. Juli 1845, dem Amerikanischen Unabhängigkeitstag, bezog Thoreau seine selbstgebaute Blockhütte, Walden Hut, auf seines Freundes Emerson abgelegenem Grundstück in der Nähe von Concord, Massachusetts. In seinem Werk Walden. Or Life in the Woods beschrieb er sein einfaches Leben am See und dessen Natur und setzte diese Erfahrung in Kontrast zu den großen gesellschaftspolitischen Themen.
Aus einer Schilderung seines Freundes Ralph Waldo Emerson: „Er führte ein Leben voller Entsagungen wie nur wenige Menschen. Er hatte keinen Beruf erlernt und lebte allein. Von einem schönen Haus, Kleidung, Sitten und Gesprächen kultivierter Menschen hielt er nichts. Er traf sich lieber mit einem ‚guten Indianer‘. [… Auch] zu jungen Menschen fühlte er sich hingezogen. Ebenso zu Bauern, die sein praktisches Wissen schätzten. […] Sein Wissen über die Geheimnisse der Natur und ihre Zusammenhänge war umfassend. […] Er liebte die Natur so sehr, war so glücklich in ihrer Einsamkeit, dass er Städte mit Argwohn betrachtete und [… als Orte ansah, wo Luxus und dessen Verlockungen] den Menschen und seine Umwelt zugrunde richten“ (Link: Henry David Thoreau).* Nachsatz: Thoreau war wie sein Freund Emerson geschworener Feind der Sklaverei.
Die Rezeption seiner Werke erfolgte langsam, aber mit Nachdruck. „Naturschützer und Ökologen waren begeistert von seinen Tiraden gegen materialistisches Profitdenken. Verfechter politischer Emanzipation, von Mahatma Gandhi bis zu den linken Studenten von 1968, erklärten ihn zum Vorbild. Heute ist Thoreau zu einer Art US-amerikanischer Konsensfigur geworden, die zwar meist in linken Kreisen, aber durchaus auch von als eher konservativ geltenden Denkern gern zitiert wird“ (Link: Henry David Thoreau).*
Auch Ralph Waldo Emerson hat Zeit seines Lebens die Notwendigkeit einer radikalen Erneuerung und geistigen Selbstbestimmung der amerikanischen Kultur und Lebensart betont. Auf einer Europareise hatte er den deutschen Idealismus entdeckt und sich mit indischer Philosophie vertraut gemacht, wovon sein späteres Werk deutlich geprägt ist. Schon in seinem ersten Buch, Nature (veröffentlicht 1836), kommt das Kernthema seines religiösen Naturalismus zum Ausdruck: Menschen sollten auf einfache Art und Weise im Einklang mit der Natur leben. Natur aber nicht als solche oder an und für sich genommen, sondern strikt menschbezogen, genauer: aufs Individuum bezogen. Natur als Quelle der Selbstbestimmung – der amerikanische Freiheitsbegriff. „Build, therefore, your own world“ lautet der Schlusssatz jenes Buchs, mit dem er die Bühne der Öffentlichkeit betrat (Emerson, Nature).
„If you’re going to San Francisco …“ Der Dritte und Jüngste im Bunde, John Muir, ist der am meisten Praxisbezogene. Ein großer Reisender und Aktivist, Kenner, Bewunderer und Propagandist des Amerikanischen Westens, betätigte er sich, wie es im Netzeintrag heißt, „als Naturalist, Entdecker, Schriftsteller, Erfinder, Ingenieur und Geologe“ (Link: John Muir).* Als wertschätzender Kenner der heroischen amerikanischen Landschaften wurde er „vom Naturforscher mehr und mehr zum Naturschützer […] und nahm dabei viele der Ideen der heutigen Öko- und Tierrechtsbewegung vorweg. Er war Mitbegründer des Sierra Clubs, der ältesten und größten Naturschutzorganisation in den Vereinigten Staaten“ (ebd.).
Vielleicht versteht man den offensichtlichen, ganz umweglosen Einfluss John Muirs auf die nachgeborenen Generationen der Hippies bis hin zu Amerikas Umweltbewegungen besser – die Faszination, die er auf diese Bewegungen noch heute ausübt –, wenn man sich eine Schilderung seines Lebens im Yosemite-Tal zu Gemüte führt und die Emphase beachtet, die in der anonymen digitalen Rede des Netzeintrags unüberhörbar mitschwingt:
„Am 2. März 1868 erreichte John Muir San Francisco. Er war mit dem Dampfschiff von New York angereist. Er war jetzt 30 Jahre alt und wollte unbedingt ins Yosemite-Gebiet. Im Gegensatz zum typischen Reisenden von damals, der die Fähre von San Francisco nach Stockton, dann eine Postkutsche nach Coulterville bestieg und von hier ein Pferd nahm, machte Muir den Weg zu Fuß. Er nahm die Fähre nach Oakland und wanderte durch das Santa Clara Tal, über den Pachero Pass, durchquerte das San Joaquin Tal nach Snelling, aufwärts zu den Ausläufern des Gebirges durch Coulterville, Mariposa County, und erreichte das Yosemite Tal um den 22. Mai 1868. Er war überwältigt von der Schönheit der Natur, den Bergen und Seen. Hier würde er die nächsten zehn Jahre verbringen und jedes Gebiet erkunden“ (Netzeintrag John Muir).*
Auch über seine eminente, identitätsstiftende Langzeitwirkung auf den naturalistischen Geist der amerikanischen Gesellschaft informiert uns der digitale Anonymus. „Mit seinen Schriften wurde er zu einem der Pioniere der Naturphilosophie und der philosophischen Begründung des Naturschutzes. 1871 prägte er den Begriff interpretation, ‚Übersetzung‘ für den Umgang des Menschen mit der Natur. Das Konzept der Natur- und Kulturinterpretation, das der Informations- und Bildungsarbeit aller Nationalparks in den USA zugrunde liegt, erinnert noch heute daran.“ Was zu beweisen war.
Nachbemerkung: 1892 gründeten John Muir und Mitstreiter den Sierra Club, eine der ersten Naturschutzorganisationen modernen Zuschnitts und bis heute eine der größten und einflussreichsten Umweltorganisationen Nordamerikas. Mit Nachdruck setzte er sich dafür ein, Wälder und andere öffentliche Flächen des amerikanischen Westens ganz aus der Nutzung zu nehmen, wobei er auch vor Kontroversen mit der Forstwirtschaft, etwa mit dem Gründer des United States Forest Service, Gifford Pinchot, nicht zurückschreckte. Der Debatte entstammen wichtige ökologische Fachbegriffe wie ‚Conservation‘ für nachhaltige Nutzung und ‚Preservation‘ für den Nutzungsverzicht. Der Vater der Nationalparks, Wildnisprophet und Bürger des Universums (Beinamen, die ihm die amerikanische Öffentlichkeit verlieh) verbrachte seinen Lebensabend hochgeehrt in Los Angeles, wo er am 24. Dezember 1914 starb. Seit 1989 begeht der Bundesstaat Kalifornien jährlich am 21. April den John Muir Day, an dem besonders an Schulen seiner Werke und seines Wirkens gedacht wird.
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* Links: The Whole Earth Catalog; Hippiebewegung; Geschichte der Umweltbewegung; Henry David Thoreau; Ralph Waldo Emerson; John Muir
Anmerkungen:
** If you’re going to San Francisco … Das von John Phillips geschriebene und von Scott McKenzie gesungene Lied (veröffentlicht im Mai 1967) wird als die inoffizielle Hymne der Gegenkulturbewegung der 1960er Jahre, einschließlich der Hippie-, Anti-Vietnamkriegs- und Flower-Power-Bewegungen bezeichnet. Das Lied gilt neben „All You Need Is Love“ (The Beatles) als prägendes Lied des Summer of Love.
*** Soziologisch betrachtet, bestanden die Hippies im Wesentlichen aus westeuropäischen und nordamerikanischen Mittelstandskindern, überwiegend unter 30 Jahren, aus Auswanderern und Aussteigern, Lebenskünstlern und Bohémiens, Studenten, Arbeitsverweigerern, Fahnenflüchtigen und Drogenkonsumenten. Bands wie Grateful Dead, The Beatles, The Rolling Stones, The Who, Santana, Musiker wie Janis Joplin, Jimi Hendrix, Melanie und Jim Morrison, Künstler wie Robert Crumb, Schauspieler wie Peter Fonda und Arlo Guthrie sowie Aktivisten wie Ken Kesey und Allen Ginsberg zeigen unterschiedliche Facetten der pluralen, heterogenen Hippie-Bewegung. Oftmals stellten Hippies eine Bohème dar, wie in den Vierteln Haight-Ashbury in San Francisco und Greenwich Village in New York, wo sie als Subkultur Orte des Undergrounds schufen. (Zitat: Wikipedia)
**** Moderne Umweltschutz- und Naturschutzgeschichte im deutschsprachigen Raum (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
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