Im Dinder Park

Gottfried Liedl am 13. Oktober 2022

Fortsetzung von BLOG # 2 vom 11. Oktober 2022: „Eine Reise in den Sudan“

„Sand, Sand und nochmals Sand …“ Wir sitzen mit fünf Wildhütern, doppelt so vielen Gewehren, Munitionskisten, Lebensmittelsäcken, Benzin- und Wasserkanistern hoch oben auf dem gefährlich überladenen Unimog, der sich durch den lockeren Boden wühlt. Es geht zur äthiopischen Grenze, in den Dinder Nationalpark, wo die Männer ihren Dienst antreten sollen. Meine Begleiterin macht ihnen schöne Augen, und so hat uns die Crew ein luftiges Plätzchen auf dem schwankenden Gefährt angeboten. Dafür wird mir dann gleich eines der deutschen Mauser-Gewehre (aus alten Wehrmachtsbeständen?) in die Hand gedrückt, wenn wieder mal alle absitzen, um den im Sand feststeckenden Unimog frei zu kriegen. Je weiter es in die Berge geht, desto dichter wird die Vegetation – allein, Brehm’sche Ausmaße erreicht sie nicht.

Urwald am Weißen Nil zu Brehms Zeiten (Brehm: Reisen, Seite 220)

„Die im Osten des Landes gelegenen Forste sind in erster Linie Brennholz- und Bau-Derbstangen-Lieferanten für die dichtbesiedelten waldlosen Gebiete des mittleren und nördlichen Sudans; die wichtigsten Einschlagsgebiete sind die Wälder am Dinder, Rahad und Blauen Nil“, wie mein Reiseführer trocken bemerkt.* Das sah man diesen ‚Wäldern‘ schon damals an. Heute, fünfzig Jahre später, sind sie praktisch verschwunden. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang nicht ganz dumm, einen Blick auf die Demographie des Landes zu werfen.

  • Bevölkerung um 1970 – rund 16 Millionen (inklusive Südsudan, vgl. Klett Handbuch, Seite 203).*
  • Bevölkerung um 2022 – rund 44 Millionen (exklusive Südsudan).**

Zwischen dieser Entwicklung lagen vier Militärputsche (1985, 1989, 2019, 2021), ein Bürgerkrieg (2003–2008) und der Unabhängigkeitskrieg des Südsudan (1983–2005).

Die 1970-er: Modern Times und Familienleben im Sudan ( © M. Tomaschek)

Der Dinder Nationalpark war damals für seinen erstaunlichen Wildreichtum bekannt. Den Löwen, der die ganze Nacht in nächster Nähe unserer Hütte gebrüllt hatte, erblickten wir zwar nur flüchtig, bevor er mit seiner Löwin im hohen Gras verschwand, dafür sahen wir jede Menge Riedböcke (Redunca redunca), des Löwen Lieblingsbeute. Von den guten Beständen an Pferdeantilopen (Hippotragus equinus) war uns berichtet worden, wir konnten auch ein paar der stattlichen Tiere bewundern, selbst die eine oder andere Tora-Kuhantilope (Alcelaphus buselaphus tora) kreuzte unseren Weg. Eine amerikanische Biologin hatte, als wir im Park eintrafen, eben ihre Verhaltensstudie an dieser fabelhaften Wildart abgeschlossen.

Heute steht Alcelaphus buselaphus tora als ‚critically endangered‘ auf der Roten Liste; im Sudan ist sie ausgerottet. Ebenfalls verschwunden ist die Nubien-Giraffe (Giraffa camelopardalis camelopardalis), die Nominatform der Art, von der wir 1978 einen kleinen Trupp in weiter Ferne beobachten konnten. Die Tiere waren sehr scheu – und das wohl aus gutem Grund. Ausgerottet sind auch die interessanten Soemmerringgazellen (Nanger [Gazella] soemmerringii), die sich schon auf altägyptischen Reliefs abgebildet finden und in den 1970-ern zwischen Dinder und Atbara in Herden von einigen tausend Stück vorkamen.

Den heutigen Zustand des Dinder Parks findet man im Netz so beschrieben: „Giraffen und Elefanten sind durch Wilderei und mangelnde Habitate ausgestorben … Die Löwen im Park sind scheu und daher schwierig zu beobachten. In einer Studie des Jahres 2019 wurden … etwa 30 – 80 Löwen im Kerngebiet des Nationalparks ermittelt … Der Druck, der von der Bevölkerung der Umgebung des Parks ausgeht, ist groß … und der Park bietet einen relativ einfachen Weg, um das Einkommen aufzubessern.“**

Geben wir der Wahrheit die Ehre: Aus dem benachbarten Äthiopien kommen neuerdings wieder Elefanten in den Park. Immerhin ein halbwegs versöhnlicher Abschluss für einen historischen Reise- und Rechenschaftsbericht … Wer jetzt die Augenbrauen hochzieht, dem sei die Lektüre meines nächsten ‚Selbstgesprächs mit Lesern‘ empfohlen. Darin wird es um das Verschwindenlassen dreier prächtiger Tierarten aus einem mitteleuropäischen Naturschutzgebiet gehen. Details folgen!

_____

* Literatur: Klett Handbuch für Reise und Wirtschaft: Afrika II. Nord- und Ostafrika. Ernst Klett Verlag: Stuttgart 1973 (2. Auflage); Alfred Edmund Brehm: Reisen im Sudan 1847 bis 1852. Herausgegeben, bearbeitet und eingeleitet von Helmut Arndt. Tübingen – Basel 1975

** Links: Dinder-Nationalpark 1; Dinder-Nationalpark 2; Sudan