Klotzen, nicht kleckern! Paradoxe (?) Energiepolitik am Golf

Gottfried Liedl am 31. Mai 2023

Das muss ihnen der Neid lassen – wenn die Golfstaaten etwas zur Chefsache erklären, geht die Post ab. Dazu gehört auch das scheinbare Paradoxon, dass in einer Hochburg der Förderung fossiler Brennstoffe die Weichen für das nachfossile Energiezeitalter gestellt werden.

„Europa wird nicht annähernd genug Strom haben, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Eine Hoffnung der EU sind sonnenreiche Staaten in Nahost, die trotz Ölreserven Ökostrom-Anlagen bauen.“*

77 Quadratkilometer – mehr als die Fläche der Stadt Salzburg – umfasst der Solarpark in der Wüste 50 Kilometer südlich von Dubai. 2012 begann man mit der Planung, schon ein Jahr darauf startete die Produktion, heute trägt der nach dem Staatsoberhaupt benannte Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park** entscheidend dazu bei, dass in Dubai selbst bereits 15 Prozent des Bedarfs mit Strom aus ‚grünen‘, sprich nichtfossilen Quellen gedeckt werden. Und nicht nur das. Dubai hat sich als erstes Land auf der Arabischen Halbinsel zum Totalausstieg aus Erdgas und Erdöl verpflichtet (bis 2050 will man das geschafft haben).  

Nicht kleckern – klotzen: Das gilt in der Stadt der Superlative offenbar für alles und jeden. Dubai stellt nicht nur das höchste Gebäude der Welt zur Schau – den 829,8 Meter messenden Burdj Khalifa –, verfügt nicht nur über die größte Einkaufsmeile, das größte Riesenrad, das größte Hotel und die längste vollautomatische Metro: die Stadt am Golf hat auch einen exorbitant hohen Stromverbrauch. Besonders im Sommerhalbjahr, wenn die Außentemperaturen auf über 50 Grad klettern, und die Klimaanlagen der Häuser, Büros, Hotels und Einkaufszentren auf Hochtouren laufen. Da muss dann, wie gesagt, auch bei der Stromproduktion ordentlich geklotzt werden.

Concentrated Solar Power. Ein Turm steht auch im Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park. Er ist zwar ‚nur‘ 262 Meter hoch, dafür kann er 100 Megawatt Solarstrom nicht nur erzeugen sondern auch speichern, sodass in den orientalischen Wüstennächten, wenn in der Luxusmetropole das Leben pulsiert, niemand im Dunkeln sitzen muss. Spaß beiseite. Das aus einem Kranz von Spiegeln zur Turmspitze hin gebündelte Sonnenlicht bringt Salz zum Schmelzen (unsere Beschreibung ist ein wenig laienhaft, aber hoffentlich nicht falsch), dabei wird Wasser erhitzt, der Dampf treibt Turbinen … und so weiter. „Der Vorteil […] ist, dass die geschmolzenen Salze die Hitze lange speichern und so bis zum Sonnenaufgang weiter Strom liefern können.“ *

To whom it belongs – Wasserstoff für die Welt. Die größte Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate boomt seit dreißig Jahren. Von den etwa 3,5 Millionen Einwohnern sind 80 Prozent Ausländer, in der überwiegenden Mehrzahl Arbeiter und Dienstmädchen aus Indien, Pakistan und Bangladesh … So weit, so typisch.  „Und sehr viele reiche ‚Westler‘.“* Eben … so weit, so typisch. Globalisierung goes green, sozusagen und als Geschäftsmodell. Denn wie Experten des Welthandels und der Weltpolitik ausgerechnet haben, wird Dubai (wenn es bis dahin Welthandel und Dubai noch gibt) im Jahr 2050 den Energie- sprich Wasserstoffhunger der Welt zu einem guten Drittel stillen können. Vorerst allerdings herrscht noch Business as usual. Mit anderen Worten: Der CO2-Fußabdruck der Einwohner Dubais gehört zu den größten der Welt. Offenbar sind sie sich darüber im klaren. Ihr Energiehunger ist sicher kein Alleinstellungsmerkmal. Doch im Unterschied zu anderen Energie-Hungrigen haben sie aus ihrem Hunger die Startrampe für ein lukratives – ich wiederhole mich – Geschäftsmodell gemacht.   

Noch ein Wort zum Naturschutz. Nachbar und Rivale Dubais ist der Zwergstaat Qatar. Aber keine Sorge … wir werden die von uns gelegte Rutsche nicht betreten. Politisiert wird nicht. Es sei denn im Sinn der Hypothese, dass es kaum etwas Politischeres gibt als den Naturschutz. Weil wir mit dieser Ansicht aber ziemlich allein dastehen, lesen wir, statt zu politisieren, Zeitung.

Der Qatar Tribune (Sonntags-Ausgabe) zufolge ist jetzt der Artenschutz auch am Arabischen Golf angekommen. Seit der Gründung des Friends of the Environment Centre – so lesen wir – wurde, um der Bevölkerung die Umweltfrage näher zu bringen („to raise awareness about environmental diversity in Qatar“) so manche Kampagne lanciert. Zum Beispiel die Jugendbewegung My Country’s Bird, eine Vogelschutz-Initiative mit erzieherischem Mehrwert. Volksbildung und Birdwatching, Tierschutz und Wissensvermittlung unter einem Dach: „To provide Qatar’s youth and members of the community information about the birds of Qatar and to promote their interest in birds“.

Qatar Tribune, Sonntagsausgabe vom 31.10.2021

Der Aufklärung folgt die humanistische Tat, „in order to establish a culture that calls for the care and preservation of birds and their living spaces, ultimately contributing to biodiversity“. Tierfreunde und Naturliebhaber im Good old Europe der Romantik und Aufklärung hätten das Projekt einer Citizen-Science-geboosteten Vogelschutzrichtlinie zur Erhaltung der Biodiversität nicht besser formuliert. Auch der Vogel des Jahres fehlt nicht: „We aim to introduce the birds of Qatar by celebrating a different local bird each year as the ‚Bird of the Year’”. Für die Jungen (our children 6 to 14) gibt es das Forum EcoKids. Zum besseren Verständnis der heimatlichen Natur.***

Und für die Großen Agro-Science. „Qatars Hauptproblem in der Landwirtschaft ist der Mangel an Süßwasser und fruchtbarem Boden. Oberflächengewässer gibt es nicht, deshalb ist Grundwasser die wichtigste Quelle für landwirtschaftliche Nutzung. Für den Anbau von Tierfutter wird allerdings entsalztes Meerwasser verwendet. Zur Deckung des steigenden Bedarfs an Süßwasser (die neuen Entsalzungsanlagen müssen mit Energie versorgt werden) ist ein eigener Solarenergiepark im Süden des Landes vorgesehen.  Die interessanteste Entwicklung ist jedoch im Bereich sogenannter hydroponischer Systeme zu erwarten. […Diese] kommen gänzlich ohne Erde aus, da sich die Pflanzenwurzeln in ständig bewegtem Wasser, angereichert durch Mineralien und Nährstoffe, befinden. […] Hydroponische Systeme sind äußerst effizient und benötigen nur 25% der Fläche und nur 10% des Wassers im Vergleich zum konventionellen Anbau, weil das Wasser in einen Kreislauf gebracht wird, der vor Verdunstung geschützt ist […]. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass diese innovative Technologie großes Zukunftspotential hat und Teil der Lösung der weltweiten Nahrungsmittelproblematik sein könnte. Möglicher Weise führt sie sogar eine echte Wende herbei, indem sie die Kapitalien von ihrem unstillbar scheinenden ‚Landhunger‘ kuriert und ihnen ein anderes, ebenso lukratives, dabei aber weniger riskantes und vor allem ökologisch verträglicheres Investitionsfeld anbietet“ (Al-Aifari 2017, Seite 178 f.). Wer sagt's denn ... Naturschutz für Erwachsene.****

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* KURIER vom 30.5.2023, Seite 4

**Link; Link

*** „The six incredible Animals of Qatar“, The Qatar Tribune, Sunday, October 31, 2021

Link

**** Al-Aifari 2017 = Zaid Al-Aifari: Landgrabbing – Agrarinvestition im Zeitalter der Globalisierung. In: Gottfried Liedl / Manfred Rosenberger (Hg.): Ökologiegeschichte. Band 2: Zeiten und Räume (Halbband 2.1: Zivilisationen). Turia und Kant: Wien – Berlin 2017, 158–179

Gottfried Liedl / Peter Feldbauer: Al-Filāha – Islamische Landwirtschaft. Mandelbaum Verlag: Wien 2017 [Zur Geschichte der ‚arabischen‘ (‚islamischen‘) Landwirtschaft]

Link

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Postscriptum. Lasst mich, geschätzte Freunde und Freundinnen der Nachhaltigkeit, diesem Beitrag ein kleines Loblied auf meine südliche Heimat Spanien anhängen. Ja, Loblied. Meine Eloge gilt dem Umstand – besser gesagt dem Faktum –, dass der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch in Spanien von 2004 bis 2021 kontinuierlich gestiegen ist. Im Jahr 2021 – mit dem meine Statistik endet – entfielen dann rund 20,7 % des spanischen Bruttoendenergieverbrauchs auf erneuerbare Energiequellen.* Das ist zwar (prozentuell) weniger als die Ziffer, auf welche der gelernte Österreicher stolz zu sein hat (36,5 % im Jahr 2020)**, liegt im Europa- (EU-) Vergleich aber brav im Schnitt (21,8 % im Jahr 2021).*** Länder mit viel Wasserkraft haben klarerweise die Nase vorn (in Schweden beträgt der Anteil an erneuerbarer Energie über 50 Prozent) … und dann gibt es die Schlusslichter (Belgien, die Niederlande, Luxemburg ...) mit unter 15 Prozent. Einen weiteren kleinen Pluspunkt für mein südliches Heimatland muss ich aber schon noch anbringen – den politisch festgeschriebenen Ausstieg aus der Atomenergie. Freundinnen und Freunde der Natur, ich hatte schon schlechtere Nachrichten im Talon.

Wie Spanien mit der Wassernot umgeht. Weil wir gerade dabei sind, die gute Nachricht aus dem Ärmel zu schütteln: Mit 765 Entsalzungsanlagen steht Spanien im weltweiten Ranking an vierter Stelle (hinter Saudi-Arabien, den USA und den Golfstaaten).**** Mit einem hohen Anteil kleinerer, lokaler Anlagen wird insgesamt eine Wassermenge produziert, die dem Bedarf (westlichen Zusschnitts, wohlgemerkt) von 34 Millionen Menschen entspricht. ¡Viva España!

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* Nachhaltige Energieproduktion in Spanien

** Nachhaltige Ebergieproduktion in Österreich

*** Nachhaltige Energieproduktion in der EU

**** Entsalzungsanlagen