Lehren aus Sharm el-Sheikh – oder Wie man der Welt-Allmende wirklich helfen kann

Gottfried Liedl am 1. Dezember 2022

Das Nicht-Ergebnis der Climate Change Confernce (November 2022) in Sharm el-Sheikh (Sharm ash-Shaikh), die 27. derartige Veranstaltung in Serie, konnte niemanden überraschen. Der menschgemachte Klimawandel wird in seiner denkmöglich krassesten Form kommen, dafür sorgt verlässlich die Politik mit ihren an kurzfristigem Machterhalt orientierten Scheinlösungen. Wobei – nicht einmal das mit den Scheinlösungen stimmt noch; ein sich von Mal zu Mal immer ungenierter äußernder Zynismus (Marke Trump, Marke Bolsonaro, Marke Xi Jinping … und dergleichen Markeninhaber werden immer mehr) sagt der – vielleicht ebenfalls nur vordergründig besorgten – Weltöffentlichkeit das Götzzitat.

Warum es so ist, wie es ist. Eigentlich sollte das den denkenden Beobachter, die gebildete Beobachterin nicht überraschen. Zumindest dann nicht, wenn sie mit historischer Expertise ausgestattet sind. Seit sich Homo sapiens aus einem Naturwesen (‚Natur in mir‘) zu einem Kulturwesen (‚Natur um mich herum‘) entwickelt hat und genau so rasch, wie er diesen Prozess bis hin zu dessen globaler Allgemeingültigkeit durchlief, verstärkt sich innerhalb der Spezies auch ein evolutionärer Prozess: Individuen mit Hang zu effizienter und immer effizienterer Aneignung aller möglichen Ressourcen genießen in den aufgeblähten Stammesgesellschaften namens Zivilisation oder Kultur, Nation oder Volk, manchmal euphemistisch sogar Menschheit genannt, gegenüber anderen, nachdenklicheren oder rücksichtsvolleren Varianten einen mächtigen Selektionsvorteil.

Wenn man diese Erkenntnis auf den Gang der Weltgeschichte umlegt, sieht man jene Regionen im Vormarsch – allen voran die zuerst Europa, später ‚der Westen‘ genannte –, die sich einer expansiven (‚schneller, höher, weiter‘) und exhaustiven (erschöpfenden) Aneignung von Naturgegenständen (nach dem Modell des Bergbaus, der Extraktion sogenannter Bodenschätze) verschrieben hatten. Nennt man diesen Prozess bei seinem eigentlichen Namen, heißt er auf gut Deutsch AUSBEUTUNG.

Die Lebensmittel – Mittel zum Leben – werden produziert, also wörtlich: ‚hervorgezogen‘, wie Edelmetalle, die man aus dem Erdreich buddelt. Lässt sich nichts mehr ‚hervorziehen‘, zieht der Heuschreckenschwarm weiter. Krisen kompromittieren die Anführer der Horde weniger als man annehmen möchte; vielmehr scheinen sie deren Macht und Autorität zu stärken. Für die Mächtigen waren Krisenzeiten meist gute Zeiten, Ausnahmen (Französische Revolution ff.) bestätigen die Regel.

Einwand: „Andere, vom ‚Westen‘ überwundene, das heißt vernichtete Gesellschaften redeten, wenn‘s um den Lebensunterhalt ging, nicht vom Produzieren sondern vom Empfangen gewisser Gaben der Natur.“ Antwort des Historikers: „Tempi passati.“ Der menschgemachte Klimawandel ist also da und wird auch nicht verschwinden, Punkt.

Mensch, Tier, Pflanze, Boden, Wasser, Luft werden damit zurecht kommen müssen.

Wir, die Menschheit (zugegeben, das klingt pathetisch; wer einen besseren Begriff hat, möge ihn mir sagen, bis dahin bleibe ich bei ‚Menschheit‘), sind die vielen rechtmäßigen ‚Eigentümer‘ (in Anführungszeichen, da wir bloß Nutzungsberechtigte sind) jener WELT-ALLMENDEN, in denen sich Mensch, Pflanze, Boden, Wasser, Luft dem Zugriff einer gierigen in-Wert-Setzungs-Gang ausgeliefert sehen. Die Verantwortung für diese ‚unsere‘ Allmenden sollte daher bei uns liegen.

Frage: Wenn alles kommt, wie es kommen muss – können wir (bei immer widrigeren politschen Bedingungen) für Resilienz, für Widerstandsfähigkeit gegenüber Allmende-Räubern und (bei erschwerten Umweltbedingungen) für Klimafitness dieser Welt-Allmenden sorgen?     

Kein gutes Jahr für Welt-Allmenden. 2022 war für Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft … schlicht katastrophal. Nachdem Corona schon dazu geführt hatte, dass im Windschatten dieser Pandemie Allmende-Aneignungs-und Ausbeutungs-Experten, Großagrarier und die mit ihnen verbündeten Politiker eine ungenierte Wald-, Wasser- und Boden-‚Nutzung‘ (Brasilian Style) betreiben konnten, führten Ukraine-Krieg und Inflation zu weiterer Abkehr von jeder auch nur halbwegs ambitionierten Klimapolitik. Energieträger wie Kohle, Erdöl, Gas, Atomkraft haben derzeit wieder Konjunktur – ihr ‚pfui‘-Image konnten sie jedenfalls ordentlich aufpolieren. Dagegen steht nur die gelinde Hoffnung, die allgemeine Preisexplosion werde dazu führen, dass mit diesen schmutzigen Agenten einer sogenannten Versorgungssicherheit eher sparsam umgegangen werde und man sie sozusagen nur mit spitzen Fingern angreift. Auch dass US-Präsident Joe Biden und seine Demokraten gerade noch rechtzeitig vor den Midterm elections ihr ambitioniertes Energie-, Nachhaltigkeits- und Umweltpaket auf den Weg gebracht haben, steht vielleicht auf der Habenseite (vgl. Bloomberg Green vom 11.11.2022: Biden’s touchdown). Unverbesserliche Öko-Optimisten orakeln angesichts des Preisanstiegs bei ‚schmutziger‘ Energie von einer Beschleunigung in Richtung Energie-Effizienz und sehen in nicht mehr allzuferner Zeit behutsamere, weniger verschwenderische Verhaltensmuster in den am meisten Energie-abhängigen Sektoren Industrie, Verkehr und Wohnen Einzug halten. Wer‘s glauben mag …

Die anderen, die Skeptiker nehmen 2022 anders wahr. Sie erinnern daran, dass dieses Jahr abermals – denn ja, es handelt sich um eine Serie, die offenbar keine Anstalten macht, abzureißen – ein Jahr der Überschwemmungen und Dürren war (Stichwort Pakistan, Süd- und Westeuropa), vor allem aber ein Jahr weltweiter Waldbrände riesigen Ausmaßes.

Waldbrände, Buschfeuer weltweit (Stand 23.7.2022)**

Was tun (für Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft)? „Das Thema ‚Allmende‘ ist ein durch und durch politisch-rechtliches. Wir gestatten uns daher ein Gedankenspiel mit der Zielvorstellung einer Rechtsordnung, in der es für global wichtige Ressourcen transnationale Eigentumstitel gibt, an denen alle Nationen nach einem sicherlich nicht ganz einfach zu erstellenden Aufteilungsschlüssel beteiligt sind. Garantieren und überwachen ließen sich diese Eigentumstitel mit einem Vertragswerk, das bei Verstößen automatische Sanktions- und Boykottmaßnahmen vorsähe, bis hin zu international exekutierbarem Schadensersatz. In rein nationaler Verfügungsgewalt stünde nicht mehr, wie das bisher Usus ist, das Eigentum an jenen global bedeutsamen Dingen, sondern lediglich deren Verwaltung: eine nationale Sachwalterschaft über internationale Allmenden unter internationaler Aufsicht.“ (Das Zeitalter des Menschen, Seite 318)*

Soweit die Utopie. Die Wirklichkeit, wie sie sich derzeit geriert – siehe oben (Sharm el-Sheikh) – stellt erstens für derlei Erweiterungen des Völkerrechts keine Anwälte zur Verfügung und bietet zweitens Null Chancen auf politische Durchsetzbarkeit; die Welt-Allmende bliebe also, selbst wenn ihre Implementierung gelänge, totes Recht.

Folglich muss, weil auf der obersten Ebene geschlampt wird, die unterste Ebene die Initiative ergreifen. Nicht wie im oben zitierten Buch als philosophierender Analytiker von der Großen Politik sondern als schon ein wenig desillusionierter Skeptiker, der es billiger gibt, spreche ich hier von der Zivilgesellschaft – von Regionen, Gemeinden, Nachbarschaften abwärts; ich spreche von tätig werdenden Berufs- und Interessensverbänden, von Bürgerinitiativen, kurz von jenen lokalen und kollegialen Zusammenschlüssen, die man sich nicht erst vorstellen muss, weil sie nämlich nachweislich real existieren. „Think globally, act locally“, eine nach allgemeiner Auffassung ziemlich gescheite Strategie.

Im zweiten Teil meiner Überlegungen zu den Lehren, die wir aus Sharm el-Sheikh ziehen müssen, werde ich mich unter anderem mit ‚westlichen‘ Errungenschaften und der Community of Investigators befassen … und was es bedeutet zu sagen: „Der Krieg hat längst begonnen“.

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* Literatur: Gottfried Liedl: Das Zeitalter des Menschen. Eine Ökologiegeschichte. Turia + Kant: Wien – Berlin 2022

**Link: Waldbrände