Lob der Bäume

Gottfried Liedl am 2. Januar 2023

Ich gebe es ja zu – als ich zum ersten Mal von jenem deutschen Schüler hörte, der mit neun Jahren beschloss, dafür zu sorgen, dass weltweit Millionen Bäume gepflanzt würden … und diesen Entschluss nicht nur in einer fulminanten Rede begründete sondern das Vorhaben in den folgenden Jahren auch erfolgreich verwirklichte*, war ich nicht nur begeistert. Sondern auch irgendwie neidig. Ich bin seit meiner Jugend ein eigensinniger Baumfreund. Und Bäumepflanzen gehört zu meiner Lebensphilosophie. Der Junge aus Deutschland war eindeutig mein besseres – weil effizienteres – Alter Ego.

Bäume des Südens. Meine Kontakte mit Bäumen haben sich intensiviert, seit ich viel Zeit in einem einsamen Tal im Hinterland von Málaga, Südspanien verbringe. Meine Baumerfahrungen sind mediterran gefärbt. Bäume sind für mich vor allem Wesen, die ihre Arme im harten Licht des Südens ausbreiten: Schattenspender. Meister des Umgangs mit der kostbaren Ressource Wasser. Erst seit wenigen Jahren ist mir klar geworden, dass das größte Verdienst meiner stämmigen Compañeros in ihrer Bedeutung für das große Ganze liegt. Meine Compañeros sind Helden der Klimapolitik. Meister des CO2-Handlings, weil sie dieses Treibhausgas freundlicher- beziehungsweise nützlicherweise der Luft entziehen und in ihren Blättern, Ästen, Stämmen und Wurzeln festhalten. Oder so ähnlich.

Die Sache mit dem CO2. Ich bin kein Botaniker. Aber Baumfreund mit Interesse für ökologische Zusammenhänge. Als solcher lese ich mich ein: Fachlich fundierte Studien** bieten mir eine Faustformel an, die besagt, dass ein Hektar Wald pro Jahr sechs Tonnen CO2 bindet. Das wären je nach Standort und Bepflanzung zwischen 10 und 25 Kilogramm pro Jahr und Baum. Bäume im Süden – mit Ausnahme der tropischen Primärwälder, versteht sich (die stehen uneinholbar an der Spitze) – binden weniger CO2 (zwischen 10 und 15 Kilogramm), ihre nördlichen Verwandten mehr.***

Ein aufgeforstetes Tal. Wer unser stilles Tal im andalusischen Hinterland besucht, kann, wenn er denn möchte, stundenlang unter Bäumen wandeln oder friedlich in ihrem Schatten schlummern. Das war nicht immer so. Vom heutigen Baumbestand (die Anzahl der Bäume bewegt sich im hohen vierstelligen Bereich) wurden drei Viertel von uns gepflanzt. Ursprünglich entsprach der Bewuchs der typischen offenen mediterranen Landschaft (Macchia, Maquis, Monte bajo), wie man sie vom Sommerurlaub kennt: vereinzelte alte Bäume – vor allem Steineichen und Oliven –, dazwischen Grasland und Hartlaubgehölze wie Ginster, Lorbeer, Erdbeerbaum und Oleander. Diese Landschaft gibt es noch immer. Aber sie hat jetzt neue Nachbarn – die Bäume unseres eigens aufgeforsteten subtropischen Parks.

Suptropische Parklandschaft auf der Finca Los Gamos © G.Liedl

Tue Gutes und rede darüber. Der Baumliebhaber rechnet zusammen … Eine tropisch-subtropische Parklandschaft mit Palmenhain; Olivenhaine und Zitruspflanzungen und von Mandelbäumen bestandene Abhänge; neu aufgeforstete Föhren- und Zypressenwäldchen; alte Steineichen und Ölbäume zwischen Hartlaubgewächsen; ein von Bäumen gesäumtes Bachbett … das ergibt eine ordentliche Bilanz. Selbst wenn wir die geringere CO2-Absorptionskraft der mediterranen Bäume in Rechnung stellen (weil sie nicht so groß werden; weil sie langsamer wachsen), so haben sie doch den unbestreitbaren Vorteil gegenüber ihren nördlichen Brüdern und Schwestern, immergrün zu sein, also ganzjährig assimilieren zu können. Dementsprechend zufrieden stellend fällt das Ergebnis aus.

Rund 90 Tonnen CO2 bindet unser stilles Tal Jahr für Jahr, was selbst dann, wenn wir pro Jahr durchschnittlich fünf Flüge aus unserer nördlichen in die südliche Heimat in Rechnung stellen, einen stattlichen Überschuss zu unseren Gunsten ergibt (84 Tonnen).  

Ganz abgesehen von den anderen Assets der grünen Compañeros – beschattete Böden und ein verbessertes Mikroklima; Bewahrung der Bodenfeuchtigkeit und weniger Erosion; unten mehr Humusbildung, oben mehr Insektenleben und ergo dessen zahlreiche Vögel in großer Artenvielfalt.

Das mit dem Bäumepflanzen war vielleicht doch nicht die dümmste Idee meines Lebens.****

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*Anmerkung: Der Schüler Felix Finkbeiner hatte 2007 mit neun Jahren die Umweltschutzorganisation „Plant-for-the-Planet“ gegründet. Nach Jahren des Reisens durch die ganze Welt, nach Begegnungen mit Entscheidungsträgern wie zum Beispiel dem früheren amerikanischen Vizepräsidenten und Klimaaktivisten Al Gore, vor allem aber weil es ihm gelang, Millionen Jugendliche zu mobilisieren, sind bis heute überall auf unserem Planeten Hunderte Millionen von Bäumen neu gepflanzt, gepflegt und großgezogen worden. Und wie er selbst sagt: solange er lebe, werde er dafür sorgen, dass diese gigantische Aufforstungsmaschine, in Betrieb genommen und gesteuert von Kinderhänden, nicht zum Stillstand komme.

Fakten und Daten: Felix Finkbeiner ist der Sohn des Unternehmers und Club of Rome-Mitglieds Frithjof Finkbeiner und der Textilingenieurin Karolin Finkbeiner. 2006 bis 2015 besuchte er die Munich International School in Starnberg, 2018 schloss er sein Studium im Fach Internationale Beziehungen mit einem Bachelor an der Universität London ab. Seit 2018 Studium an der ETH Zürich (Department für Umweltwissenschaften). Die von ihm gegründete Organisation „Plant-for-the-Planet“ mit 130 Mitarbeitern und 70.000 Mitgliedern in 67 Ländern ( Stand 2017) hatte nach 10 Jahren ihres Bestehens bereits über 1.200 Ausbildungsworkshops organisiert. Kritik an dieser Organisation, etwa wegen Intransparenz und geschönter Erfolgsstatistiken, hat ihr Gründer stets vehement zurückgewiesen.  (Dazu: Plant for the Planet)

** Link: Waldwissen

*** Link: Bäume im Klimawandel

**** Monica Tomaschek: Eine Finca in Andalusien. Der lange Weg zum Garten Eden. MyMorawa: Wien 2022