Unlängst hat sich ein Teilnehmer meines Ökologie-Seminars über meinen Sager beschwert, Landwirte seien stets die größten Umweltsünder gewesen (bevor sie die Industrie überholte). „Dieser These würde ich persönlich insofern widersprechen, als ich der Meinung bin, dass die Menschen am Land […] (verdienter Maßen) mit Stolz auf das von ihnen Geschaffene blicken. Ich bezweifle bis zu einem gewissen Punkt, dass der Landmensch den Stadtmensch um seinen Lebensraum beneidet“ (Benedict Kessler, Rezension: Gottfried Liedl, Das Zeitalter des Menschen. Eine Ökologiegeschichte, 3 Bände). Geschenkt, Herr Kollege. Aber ich spreche ja auch nicht von heutigen gebildeten und urbanen Landwirten der ‚Generation achtsam‘ (vulgo Biobauern). Sondern habe – Historiker, der ich nun mal bin, seit ich mich selbst aus den elysischen Gefilden der Philosophie verbannte – einen Bauernstand vor Augen, den eine vieltausendjährige Geschichte der Not, des Mangels, der Sorge und der Unterdrückung geprägt hat.
Geplünderte Plünderer, zerstörte Zerstörer. Von einem Leibeigenen des Feudalzeitalters Empathie für Mutter Natur, für Tiere und Pflanzen zu erwarten, ist ungefähr so realistisch wie die Annahme, afrikanische Wilderer könnten zu Rettern der letzten Nashörner mutieren. Für den Leibeigenen oder, um noch ein wenig weiter zurück zu gehen in der Geschichte der Landwirtschaft, für den Feldsklaven eines römischen Latifundienbesitzers waren Naturgegenstände Inbegriff von Zwangsarbeit, Leid und Entbehrung. „Im Schweiße deines Angesichts …“ Wie recht sie doch manchmal haben, die Heiligen Bücher. Zum Ehrennamen wurde ‚Bauer‘ erst durch das Missverständnis (ein Missverständnis, wie es nur urbanem Müßiggang entspringt), Natur sei idyllisch. Geschätzt und geschützt wurde diese ‚Natur‘ denn auch nicht von denen, die sie im Schweiße ihres Angesichts zur (Bauern-)Landschaft machten, sondern von solchen, die in ihren Gefilden lustwandelten. Bis hin zum Grenzwert besagten Lustwandelns, der Jagd – denn selbst diese lässt den wilden Tieren und Pflanzen mehr Schutz angedeihen als der Landwirt, für den besagte Tiere und Pflanzen lästige Ernteschädlinge sind. Warum auch sollte er teilen, wo doch Schicksal und Natur ihn selbst dazu verdammt zu haben schienen, immer nur abzugeben und herzuschenken, bis ihm selbst kaum das Lebensnotwendigste blieb. Geiz und Bauernschläue prägen das Land; Überfluss und ideale Werte gibt es nur in Burgen, Schlössern und Palais. Und in der Stadt, deren Luft bekanntlich frei macht.
Ein Lehrstück von Bauernschläue und Geiz. „Also sagt nicht ‚Bauern’, wenn ihr die gewerbsmäßigen Agenten moderner Landwirtschaft meint. Sonst werdet ihr Opfer eures eigenen urbanen Idealismus, der ‚auf dem Lande‘ den Hüter der Natur zu finden meint, wo in Wirklichkeit deren Zerstörer sitzen.“
Gegenwärtig wird in den Hotspots der Agro-Industrie gern vom Bauerntum gesprochen … und wie man es schützt, hegt und pflegt. „Wutbauern mischen die Regierung auf. Niederlande: Die neue Bauer-Bürger-Bewegung erzielte einen fulminanten Sieg bei den Regionalwahlen. Ihr Ziel: Das strenge Umweltprogramm der Regierung stoppen“ (KURIER vom 17.3.2023). Mit dem Ruf ‚Höfe vor der Schließung bewahren!‘ zogen Hollands Landwirte, unterstützt von Hollands extremer Rechten und begleitet von idealistischen Bürgern, in die Wahlschlacht. Den Gewinn streifen natürlich nicht sie ein. Sondern andere. „Agrarplayer“ (KURIER), in deren vollautomatischen Massentierhaltungs-Ställen rund 35 Millionen Tiere auf den Tod im voll automatisierten Schlachthof vorbereitet werden, sind klarerweise genau nicht jene, deren ‚Höfe‘ (ein Euphemismus, wie er im Buche steht) geschlossen werden sollen.
‚Bauern‘ als Umweltschützer … Wie war das nochmal mit dem Wolf im Schafspelz? „Die mit rund 17 Millionen Einwohnern dicht besiedelten Niederlande haben ein gewaltges Umweltproblem. So groß, dass das höchste Verwaltungsgericht bereits 2019 urteilte: Bis 2030 müssen zwingend 55 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes (ausgehend vom Niveau 1990) verringert werden“ (KURIER vom 17.3.2023, Seite 8). Das ist die urbane Reaktion auf ein rurales Problem. Zugleich Beweis für die Vergeblichkeit idealen Strebens … Auf der Gegenseite gibt es die regionalen Wahlerfolge derer ‚vom Land‘. Sorry, Romantiker, aber grün ist auf dem Lande nur das Gras. Das überdüngte.