Stiefkind Umweltschutz

Gottfried Liedl am 11. Dezember 2022

In seinem Gastkommentar (KURIER vom 10. Dezember 2022, Seite 24) verwendet der Unternehmensberater Klaus Atzwanger den harschen Begriff „Ökodiktatur“. Das Wort springt ins Auge. Und weil es von einem Unternehmensberater stammt, denkt der Leser, der sich mit Vorurteilen auszukennen meint, natürlich sofort: ‚Wieder so ein Wirtschaftsfuzzi, der uns vorrechnet, was Umweltschutz die Gesellschaft | die Wirtschaft | den Staat (Zutreffendes ankreuzen) kostet‘.

Wie man sich irren kann. Nach Dafürhalten des Kommentators  „… ist es wesentlich, sich zu vergegenwärtigen, wie kurz wir vor einer sogenannten Ökodiktatur stehen. Und diese Ökodiktatur wird nicht dadurch entstehen, dass radikal grüne und ökologisch orientierte Regierungen Maßnahmen setzen, … wie Leugner der Klimakrise gerne behaupten, sondern eine Ökodiktatur wird von der Umwelt selbst erzwungen, indem uns Wetterkatastrophen und andere ökologische Katastrophen wie zum Beispiel Nahrungsmittelausfälle aufgrund gekippter Artenvielfalt vor radikale Beeinträchtigungen unserer Lebensgrundlage stellen werden.“ Ein ebenso unverhoffter wie kluger Zuruf aus einer Ecke, aus der man (= der Freund, die Freundin einer gesunden, artenreichen Umwelt) es nicht erwartet hätte. Jedoch, jedoch. Entsprechende Erwartungen respektive Befürchtungen werden leider erfüllt, wenn man sich von der Privatmeinung auf die Ebene der Politik begibt.

Umweltschutz nach Art des Hauses. Auch wenn er ‚nur‘ ein Beispiel ist, eine Momentaufnahme, spricht er doch Bände. Gemeint ist der Budgetbericht der Niederösterreichischen Landesregierung für das Jahr 2023.* Der Vergleich macht uns sicher …

Für Umweltschutz sind Aufwendungen von in Summe 41.733.000 Euro vorgesehen. Ist das viel oder wenig? Die Antwort findet sich unter der Rubrik Straßen- und Wasserbau, Verkehr, man liest und staunt über die stolze Summe: 698.521.200 Euro.

Übersetzt man sich das Ganze in die Sprache des Gesunden Menschenverstandes, so lautet das Fazit: Für den (Nieder)Österreichischen Volkssport Bodenversiegelung macht die Öffentliche Hand sage und schreibe siebzehn mal mehr Steuergeld locker als für das, was von besagtem Volkssport betroffen, um nicht zu sagen bedroht ist – die Natur, der Boden, die Artenvielfalt. Oder anders herum: das größte Bundesland der vorgeblichen Öko-Musterrepublik schämt sich nicht, an Aufwendungen für das Stiefkind Natur gerade einmal 6 Prozent dessen vorzusehen, was es für ihr Lieblingskind alias heimliches Umweltideal, die zubetonierte Landschaft bereitstellt.

Aber tun wir nicht so, als wären wir überrascht.

Vom Land der Kreisverkehre, Autobahnzubringer, Einkaufszentren und Häuselbauer war nichts Anderes zu erwarten.**

P.S. Damit nicht nur schwarz gemalt werde, hier noch ein kleines Highlight aus der Welt der Wissenschaft. Seltene Erden, so unverzichtbar im postindustriellen Zeitalter (Industrielle Revolution 2.0.), machen die Welt bekanntlich nicht automatisch zu einem besseren Ort. Im Gegenteil. Die dabei entstehende Abhängigkeit von allerlei Lieferanten mit zweifelhaftem Ruf –  Hotspots der Menschenrechtsverletzung wie China lassen grüßen – wird noch getoppt durch die enorm umweltschädlichen Verfahren, die bei der Förderung dieser Rohstoffe zum Einsatz kommen.* Zwei Meldungen aus der Fachwelt lassen jetzt aufhorchen. Positive Meldungen, wohlgemerkt.

Erstens eine neue, weniger umweltschädliche Fördermethode. Entwickelt wurde das Verfahren, welches den Säureeinsatz beim Schürfprozess reduzieren hilft, ausgerechnet in China. Die Welt ist voller Grautöne und Übergänge. Der zweite diesbezügliche Silberstreif am Horizont erschien im kleinen Österreich. Experten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) entwickelten zusammen mit Kollegen aus Cambridge und Mailand eine Methode zur künstlichen Herstellung von Neodym, einer jener Seltenen Erden, deren Förderung besonders umweltschädlich ist. Das im Labor produzierte Eisen-Nickel-Gemisch Namens Tetrataenit besitzt ähnliche Eigenschaften und bietet vergleichbare Anwendungsmöglichkeiten wie Neodym – mit bedeutend kleinerem ökologischen Fußabdruck. Wer sagt’s denn. Nicht alles muss schiefgehen auf unserem Blindflug ins postindustrielle Zeitalter. Manche Löcher stopft die Wissenschaft ganz ohne dass sie dafür neue aufreißen muss.

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* Links: NÖ Budget 2023; Seltene Erden

** Link, Nachtrag und Anmerkung zum Weltmeister Österreich im Bodenverbrauch - diesmal ein Beispiel aus Wien (Verbauung des Donaufeldes im 21. Bezirk): Download