Vertikales Grün. Die ökologische Zukunft der verdichteten Stadt hat schon begonnen

Gottfried Liedl am 19. Februar 2024

Der politische Realist: „Proaktive Änderungen sind nie angenehm, immer müsste irgend jemand auf irgend etwas verzichten. Angesichts des zu erwartenden Wahlverhaltens der Nation ist es daher ratsam, die Füße still zu halten.“ Der Zyniker: „Das Gute an der Klimakrise: sie braucht auf das Volk keine Rücksicht zu nehmen. Sie kommt auf jeden Fall. Und übrigens – das Wahlvolk weiß das auch.“ Der Pessimist: „Und das ist gut so.“

Mit seiner unorthodoxen Ansage hat der Pessimist ins Schwarze getroffen. Niemand muss sich vor der Klimakrise fürchten, denn sie ist bereits da. Was mit Sicherheit kommt, ist die Antwort des realen Lebens – nicht auf die Frage: Kommt die Krise oder kommt sie nicht? … sondern auf deren Unumkehrbarkeit. Mit anderen Worten: das Gute an der aufschiebenden Wirkung des Nichtstuns ist das katastrophale Ergebnis, denn dieses führt zur nachhaltigen Änderung des Verhaltens wenn schon nicht aller so doch der am meisten Betroffenen (also der Mehrheit). Das Laissez-faire in der Klimakrise führt zur Klimakatastrophe und diese zur Klimafitness (vgl. Liedl 2018, 90 ff.).*

Probleme, auf die man nicht warten muss, weil sie schon lange da sind. Der gebürtige Städter, die gelernte Urbane, so sie nur lange genug in der Stadt leben, um ein Gefühl für Zeit und Veränderung zu bekommen, könnten uns sicher die wichtigsten Entwicklungen, deren Zeugen sie geworden sind, an den Fingern herunter zählen. In abstrakte Formen gegossen wären ihre Erfahrungen wohl mit den Begriffen Überhitzung, Flächenfraß, Verkehrskollaps, Versorgungs-Unsicherheit, Stress und schwindende Lebensqualität recht gut auf den Punkt gebracht.

Mit Mitteln der Soziologie, Ökologie oder auch bloß geographisch könnte man jenen Makrobereich urbaner Entwicklung im Zeichen der Klimakrise als einen sich selbst verstärkenden Prozess darstellen, worin die klimabedingte Überhitzung durch das demographische Wachstum der Städte – ein unbezweifelbarer weltweiter Trend – noch weiter gesteigert wird, weil Städte eben nicht nur flächenfressend ins Umland ausgedehnt werden sondern sich dabei auch nach innen verdichten. Beide Vektoren führen zum gleichen Ergebnis: Vernichtung lebensqualitätsvoller Freiflächen.

‚Lebensqualität‘ in der Krise – und wie man sie allenfalls wieder herstellt. Leider muss man gegenwärtig davon ausgehen, dass die urbanen Lebensräume das Dilemma einer überausgebeuteten Welt perfekt spiegeln; das heißt natürlich, nicht nur sie selbst tun das. Auch andere Biome in ihrer näheren und weiteren Umgebung sind ins Dilemma einbezogen, sofern sie ja, um selbst einigermaßen über die Runden zu kommen, der urbanen Sphäre zuarbeiten – zuarbeiten müssen. Anders und frei heraus gesagt: weil sie von der urbanen Sphäre abhängig sind.**

Oberstes Gebot: der Überhitzung Einhalt gebieten. Das wichtigste Mittel dazu: den Flächenfraß zu stoppen.

Alles Weitere hängt davon ab – ohne adäquate Beantwortung dieser Hauptfrage ist den anderen Übeln nicht beizukommen: weder der klimabedingten Versorgungs-Unsicherheit (Ernährung, Wasser, Energie) noch dem systemischen Versagen der Ökonomie als solcher, einer Ökonomie, die an der Umweltzerstörung großen Anteil, um nicht zu sagen den Hauptanteil hat. Denkt man an den industriellen Komplex der Lebenmittelproduktion und einer davon total abhängigen Landwirtschaft, einen Komplex, der von einer bestimmten Methode, sich der Umwelt zu bedienen, viel zu sehr profitiert, um an einer Änderung solch profitabler, wiewohl ruinöser Strukturen auch nur das geringste Interesse zu haben, können einem schon pessimistische Anwandlungen kommen.

Was der geographische Raum, in dem die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt, zur ökologisch-ökonomischen Wohlfahrt beitragen kann. Der Hinweis auf den agro-industriellen Komplex erfolgt nicht ohne methodische Hintergedanken. Denn dieser Komplex ist konsumorientiert. Mit anderen Worten, er ist bei weitem nicht so autonom, wie er sich nach außen hin darstellt; oder wie er es sich selbst einreden mag. Er ist abhängig vom Konsum jener Massen, die sich in den urbanen Räumen aufhalten. Also heute schon von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung, das sind über vier Milliarden potenzieller oder realer Abnehmer und Abnehmerinnen seiner Produkte.

Stadtnahe Landwirtschaft versus konsumorientierter agro-industrieller Komplex? Das hat sportliches Potenzial. Es mag zwar vorerst nur ein utopisches Gedankenspiel sein (oder auch wieder nicht, wenn die Anzeichen nicht trügen): gesetzt den Fall, nur ein Viertel der in Städten lebenden arbeitsfähigen Weltbevölkerung betriebe Landwirtschaft und das auch nur im Nebenerwerb, gesetzt also diesen minimalistischen Fall, dass bloß fünfundzwanzig Prozent der stadtsässigen Berufstätigen nebenher Lebensmittel und landwirtschaftlich generierte Energie produzierten (mit der heute zur Verfügung stehenden technischen und datenverarbeitenden Logistik wahrlich kein Kunststück), so wären das im Weltmaßstab schon heute mehr als eine halbe Milliarde zusätzlicher – ja, man dürfte sie so nennen: ‚in Städten ansässige Nebenerwerbslandwirte‘. Noch dazu solche, die als sogenannte Prosumer – Produzenten und Konsumenten in Personalunion – keinen großen ökologischen Fußabdruck hinterließen, weil sie ihre Produkte und Dienstleistungen hauptsächlich lokal, in unmittelbarer Nachbarschaft auf den Markt brächten.

Skeptikern sei in Erinnerung gerufen, wie unglaubwürdig, sagen wir um 1900, die Prognose geklungen haben mochte, dass es schon ein halbes Jahrhundert später in Haushalten der sogenannten besseren Gesellschaft (nicht zu reden vom Durchschnittshaushalt) keine Dienstboten, dafür jede Menge technischer Geräte zur Haushaltsführung geben würde. Die freigesetzten Dienstboten arbeiten nun in den Fabriken für Haushaltsgeräte. So wie die von der Agrarwirtschaft freigesetzten Landarbeiter und Landarbeiterinnen heute in den Produktionsstätten für Landmaschinen und in der Agrochemie zu finden sind. Wenn wir also hinsichtlich der ländlichen Szenarien darauf aufmerksam machen, dass es die Industrialisierung mit ihrem stattlichen Aufgebot an Maschinen und EDV dort zu agrarischen Großbetrieben gebracht hat, am Laufen gehalten von lediglich einer Handvoll Menschen, wo einst Dutzende Knechte und Mägde und Kohorten saisonaler Arbeitskräfte werkten, dann tun wir das natürlich mit Blick auf künftige urbane Landwirtschaftsszenarien erst recht. Diese – natürlich unter Berücksichtigung der anderen Ausgangssituation – lassen sich nämlich genauso gut analysieren und mit der nötigen Vorsicht vorhersagen, wie das bei der bereits weit fortgeschrittenen Entwicklung auf dem flachen Lande der Fall ist.

Wenn man einwendet – ein sehr treffender Einwand übrigens –, dass Industrie und Investmentkapital mit Sicherheit auch diesen Schauplatz betreten werden, sobald jene ‚neuen‘, sprich stadtnahen oder städtischen Formen landwirtschaftlichen Prosumertums ihre Marktreife bewiesen haben werden (und der Tag dafür ist nicht mehr fern), kann die Antwort nur lauten So what? Big Business und Investmentkapital werden, ob sie es wollen oder nicht, auf diesem Schauplatz ökologisch und sozial ganz andere Folgen zeitigen. Schon wegen der anderen Marktverhältnisse mit ihrer räumlichen und ideellen Nähe zwischen Produktion und Konsum.

„Ja, aber.“ Ein anderes Nutzungskonzept – ein anderes Raumkonzept. Vielleicht hat uns ja der Blick auf die Ernährungsfrage die Augen geöffnet für weitere Optionen des Urbanen und urbaner Denkungsart. Produktion, Konsum, Lebensweise und Lebensart werden lokal statt global verortet sein und Expansion findet weiterhin statt – doch nicht in die Breite sondern in die Höhe. Wie schon einmal, nämlich am Beginn der ‚klassischen‘ Moderne, sind die aufregendsten Formen neuester Metropolitan-Architektur die vertikalen. So betrachtet – durch die Brille der Architektinnen und Architekten, der Stadt- und Raumplaner-Community –,  ist die ökologisch gewendete Postmoderne in ihrem Kern eine Renaissance. Sicher nicht die schlechteste Form unter den vielen denkbaren Neuauflagen der Moderne …

Ökologisch gewendet heißt: Wo die ‚klassische‘ Moderne*** etwa als Punkthochhaus-Architektur (schöne Beispiele stehen in Stockholm oder in Roehampton im Großraum London) ‚Architektur im Grünen‘ sein möchte und ihre Wohntürme sehr elegant, aber auch sehr raumgreifend  einzeln in Parklandschaften plaziert (vgl. Tomaschek 1985, 17),**** nimmt die neueste Version, also die renaissancistisch-postmoderne Variante vertikalen Bauens, den Grünraum in die Höhe mit. Dadurch ist ihre Lizenz zur Verdichtung, über die sie neben der Erlaubnis zur hemmungslosen Nutzung des Luftraums ja ebenfalls verfügt, ökologisch nicht so bedenklich. Das Volumen an tier- und menschenfreundlichen, von vegetabilischen Elementen durchsetzten künstlich geschaffenen Biotopen in luftiger Höhe wiegt die Verdichtung, den horizontalen Flächenfraß beziehungsweise das Überbauen potenziellen Grünraums auf. Zumindest im Idealfall ist es so, wie ihn zum Beispiel die asiatische Metropole Singapur als gesetzliches Plansoll, das erfüllt zu werden hat, definiert. Diesem Ideal kosteneffizient, also durch Schaffung möglichst geräumiger Baukörper auf kleinstmöglicher Baufläche nahe zu kommen, zeichnet exzellente Architektur vor lediglich brauchbarer aus.

Zwei offene Stockwerksgärten eines Hochhauses in Singapur | © Globusliebe

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Sind Vertical architecture, Vertical farming, Vertical green integrale Bestandteile des größten Bioms unseres Planeten? Die vorhin angesprochenen Themen – von Urban farming, Greenbelt- und anderen Raumplanungsmodellen, die sich durch gezielten Einsatz öffentlichen Grüns als gestalterisches und sozialpolitisches Mittel auszeichnen, bis hin zur ‚klassischen‘ Raumplanung mittels Architektur – gehören alle in den städtebaulich-stadtgeographischen und stadthistorischen Makrobereich. Dazu zählt auch die globale demographische Entwicklung, deren Bedeutung durch die Tatsache unterstrichen wird, dass nach recht glaubwürdigen Prognosen bis 2050 – also innerhalb einer einzigen Generation – die in Städten lebende Menschheit auf 75 Prozent der Weltbevölkerung angewachsen sein wird. Drei Viertel der für 2050 vorhergesagten rund zehn Milliarden Menschen, sprich siebeneinhalb Milliarden werden im urbanen Umfeld leben. Damit wird sich das Lebensmodell ‚Stadt‘ zu dem Biom schlechthin, zum typischen Biom des Planeten Erde gemausert haben.

Was sich historisch-geographisch auf dieser Makro-Ebene abspielt und wie sich das abstrakt-typologische Weltbiom ‚Stadt‘ konkret in welchen Formen und lokalen Gestalten entfaltet und in welche unterschiedliche Biotope es sich dabei ausdifferenziert, das freilich ist Gegenstand der Mikrogeschichte; es gilt die allgemeinen Umrisse des Weltbioms ‚Stadt‘ in den unterschiedlichsten Farben auszumalen, um der vielen konkreten Maßnahmen, mit denen sich Städte den ökologisch-ökonomisch-demographischen Herausforderungen der Klimakrise theoretisch stellen könnten oder in der stadtpolitischen Praxis teilweise auch schon stellen, habhaft zu werden.

Dass das im engen Rahmen eines Blogs nicht geleistet werden kann und soll, bedarf keiner weiteren Erörterung. Literatur und Netz quellen über von Beispielen innovativer Methoden architektonisch-städtebaulicher Natur, die alle mit dem offensichtlichen Ziel gesucht, gefunden und eingesetzt werden, die Lebensqualität der Stadtbewohnerin, des Stadtbewohners zu verbessern, und zwar ungeachtet ihrer Herkunft aus der Menschenwelt oder dem Reich der Tiere oder Pflanzen. Die Krise ist, wie gesagt, schon lange da: als Krise des Raumes – Grünland-, Freiraum-, Bodenschwund –, als Energie- und Ressourcenkrise, als Umweltkrise und Krise der Lebensqualität, wozu (um nur die auffälligsten zu nennen) so unterschiedliche Phänomene wie Klimakrise und Naturzerstörung, Artenschwund und Sinnkrise zählen. Die Krise ist da; Lösungsversuche als Versuche, resilienter zu werden (frühere, weniger skeptische Generationen sprachen sogar von Krisenfestigkeit), folgen ihr auf dem Fuße.

Wenn das künftige Welt-Biom ein zutiefst urbanes ist; und wenn es als Summe der in ihm vereinigten Biotope tüchtig genug sein soll, um das zu leisten, was jedes gute Biotop schon für sich genommen zu leisten hat – so stabil wie nötig, so dynamisch wie möglich zu sein, um historisch bestehen zu können … wie darf man es sich als vorsichtig-skeptisch in die Zukunft blickender Historiker vorstellen? Was kann man sich innerhalb der bloß angedeuteten Konturen, wie der Volksmund so treffend sagt, ausmalen?

Die bereits heute weltweit zwar noch punktuell, aber doch signifikant genug  in Erscheinung tretenden Umgestaltungen urbaner Großlebensräume können nicht mehr ignoriert werden. In der Historiographie zielt man sicher nicht von Haus aus auf Trendforschung ab; soviel lässt sich aber aus den Entwicklungen des letzten Jahrhunderts – oder des letzten halben Jahrhunderts – für das nächste halbe Jahrhundert extrapolieren, dass es zu einer radikalen Revision der Raumordnung kommen wird, wo in den Beziehungen von Stadt und Land, Zentrum und Peripherie – die Formulierung mag ein wenig abgegriffen sein, passt hier aber perfekt –: ‚kein Stein auf dem anderen bleiben wird‘.

Das urbane Biom auf dem Prüfstand: Erstens, Landwirtschaft. Weil schon die Aufklärer darauf bestanden haben, dass alles, was zum Bonheur, zum Wohlergehen der Menschheit führt, mit dem Terroir, dem fruchtbaren Mutterboden anfängt und der wichtigste Beruf der des Cultivateur, des Laboureur, des Feldbestellers vulgo Landwirts sei, soll auch in der Analyse des urbanen Weltbioms ‚Stadt‘ zuerst die Landwirtschaftsfrage erörtert werden. Trocken-apodiktische Feststellung: Sie wird eine urbane Landwirtschaft sein (urban als aufgeklärt humanistisch zu lesen) – oder sie wird nicht sein. Frei nach Nietzsche: „Die Wüste wächst – weh dem, der Wüsten birgt.“

Im engeren Sinne urban ist sie mancherorten schon jetzt. Und es zeigt sich, dass der Gegensatz zwischen ökologisch bedenklich oder ökologisch korrekt nicht an der Frage festzumachen ist, wie ‚industrialisiert‘ sie sei – gesetzt nämlich, man versteht das Phänomen der Industrialisierung von der Rolle her, welche Wissenschaft dabei spielt. Urbane Landwirtschaft ist schon heute und wird in Zukunft noch viel ausschließlicher Agrikultur der höchsten Bildung sein, des größten Vertrauens auf ihr theoretisches Fundament, mit einem Wort: der wissenschaftlichen Herangehensweise (scientific approach).Das schließt alle möglichen Renaissancen und Wiederentdeckungen ‚traditioneller‘ Landwirtschaft nicht aus sondern ein.

Was es aber definitiv ausschließt, sind zwei Extreme. Unverträglich mit urbaner Agrarisierung ist einerseits der spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Weltherrschaft gelangte agro-industrielle Komplex als sozio-ökonomische Diktatur einer einzigen Produktions- und Konsumptionsweise unter Ausschluss jeglicher Alternativen.

Das zweite mit urbaner Agrarisierung unverträgliche Extrem stellen die weltweit als Kollateralschaden des agro-industriellen Komplexes auftretenden Rudimentär- und Verfallsformen von ‚Landwirtschaft‘ dar. Das sind die verschiedenen auf unterster sozialer Stufenleiter stehenden, im Grunde gar nicht artisanal sondern dilettantisch, von naturferner Warte aus durch eine depravierte Weder-Stadt-noch-Landbevölkerung (Karl Marx prägte dafür den plastischen Begriff Lumpenproletariat) betriebenen Varianten reiner Bodenausbeutung. Eine solche Landwirtschaft im Stadium ihres Verschwindens reicht von der mit raschem Verfallsdatum versehenen Übernutzung erschöpfend bewirtschafteter Böden in Gebieten jüngst gerodeter Primärvegetation (gleichgültig, ob in den Tropen oder wie neuerdings auch in subpolaren Zonen) bis zu Betriebsformen in den sogenannten Industrienationen, wo sich, nach dem Umstieg auf mechanisierte Formen von Ackerbau und Viehzucht, ein bäuerlicher Mittelstand hoch verschuldet seinem raschen Ende entgegeneilen sieht.

Alle anderen denkmöglichen oder schon realisierten Formen eines pfleglichen landwirtschaftlichen Umgangs mit natürlichen Ressourcen (das Zwillings-Kennwort lautet Nachhaltigkeit | Umweltverträglichkeit) passen perfekt ins urbane Konzept, lassen sich, um es auch für den Liebhaber, die Liebhaberin abstrakt-philosophischer Formulierungen angemessen auszudrücken, ins Narrativ einer modern-postmodernen Globalgeschichte der Stadt, Weltstadt, Megastadt, Metropole … oder wie immer die Etikettierung lauten mag, als Teil-Erzählungen perfekt einfügen.

Unter ökologischen Gesichtspunkten bedeutet ‚modern-postmodern‘ vor allem klimafit. Outdoor- oder Indoor-Farming, betrieben im eher konventionellen Hochbeet- oder als technikaffines Hydroponik-Verfahren,****** Stockwerks-, Nachbarschafts- oder Dachgärten, gewinnorientiert bewirtschaftet oder multifunktional zur Verfügung gestellt als soziale Allmende, als Erholungs- und Kommunikationsraum für Mensch und Tier (darunter eine stetig wachsende städtische Brutvogelpopulation) – was  allen diesen typisch urbanen, innovativen und benutzerfreundlichen, basisdemokratisch-bürgernahen Nachbarschaftsmodellen gemeinsam ist: ihr minimaler ökologischer Fußabdruck bei maximaler ökologischer Wirkung. Und last not least: Role Models wie das in dieser Hinsicht (wieder einmal) besonders avantgardistische New York liefern auch den Beweis, dass mit ökologischer Verträglichkeit, passgenau eingefügt ins Narrativ des American Way of Life, ein Glück (Bonheur) nach Art der Ökonomie einhergehen kann: das materielle Glück des Wohltäters, der mit urbanem Ackerbau seinen Profit macht (vgl. Bullinger | Röthlein 2012, 113 f.).***** 

Das urbane Biom auf dem Prüfstand: Zweitens, Raumordnung. Weil sie so bedeutungsvoll ist und vor allem äußerst folgenreich für das Bienestar, das Bonheur, das Wohlergehen der Menschheit, sei sie noch einmal in Erinnerung gerufen, die Zahl der Individuen der Spezies Homo sapiens, welche nach einer glaubwürdigen Prognose um die Mitte des 21. Jahrhunderts das urbane Biom bewohnen werden: 7,5 Milliarden.

Zwei Drittel der Weltbevölkerung auf einen verhältnismäßig kleinen Teil der bewohnbaren Fläche des Planeten zusammengedrängt – wie viel Raum die größten Megastädte auch einnehmen und wie sehr sie ihre Umgebung dominieren werden … es wird stets ein relativ beschränkter, auf die Geographie des Planeten und dessen Großräume inklusive Weltmeere bezogen gewissermaßen überschaubarer Raum sein. Soviel steht fest – je ökologisch verträglicher sie sein werden, je besser angepasst an ihre Umwelt, desto übersichtlicher und kompakter werden sich jene megastädtischen Bezirke innerhalb ihrer weiten, im Vergleich zu ihnen selbst geradezu grenzenlos weiten Umgebungen ausnehmen.

Diese Umgebungen werden sie wahrscheinlich mehr oder weniger ringförmig umschließen (Ruedo, ‚Ring‘ nennt man auch in Spanien seit Menschengedenken die unmittelbare Umgebung der traditioneller Weise immer schon sehr kompakt angelegten Städte … by the way eine der interessantesten und zukunftsfähigsten Interpretationen des alten Problems der Siedlungsgeographie – nämlich wie sich das Land, von der Stadt aus betrachtet, ausnimmt). Zersiedelung sieht anders aus und war nie Thema einer urban denkenden, urban fühlenden, urban wirtschaftenden Gesellschaft. Soviel hat die aufmerksame Leserin, der mitdenkende Leser schon begriffen: Es ist nicht von der Gesellschaft nördlich der Alpen die Rede. Dort ist Zersiedelung, Zerstückelung, Zerfledderung besonders der stadtnahen Landschaft die Regel.

Zurück zur Weltbevölkerung und ihrem stadtgebundenen Wachstum. Es bedarf keiner überragenden mathematischen Kenntnisse oder besonderer Geschicklichkeit im Aufstellen von Statistiken, um eine logische Verbindung herzustellen zwischen dem Wachstum kompakter, sprich infrastrukturell gut funktionierender Millionenstädte und dem mehr oder weniger markanten Entstehen nicht-urbaner Räume, die sich in demographischer Hinsicht als das schiere Gegenteil jener dicht besiedelten Kernzonen erweisen: SIE SIND LEER. Gesetze der Evolution gelten auch für die Geographie.

Wenn es stimmt (wie weiter oben geschlussfolgert wurde), dass ein Biotop à la longue nur dann überdauert, wenn es ökologisch angepasst ist, wenn es also dauerhafte Grundlage für ein dynamisch-stabiles Biom zu sein vermag – dann werden benachbarte Biotope in einen Konkurrenzkampf geraten: Auf dem Prüfstand (und auf dem Spiel) steht ihre Attraktivität als Grundlage möglichst vitaler, das heißt möglichst arten- und individuenreicher Biome; mit anderen Worten, als Playground möglichst großer Gemeinschaften möglichst vieler Arten im dynamischen Gleichgewicht. Biome, die diesem evolutionären Sollwert besser entsprechen als ihre Nachbarn, werden diesen das evolutionäre Wasser abgraben.

Im Fall von ökologisch optimal angepassten urbanen Biotopen wird sich das in der Demographie zeigen; hinter den demographischen Zahlen stehen natürlich die wirtschaftlich-sozialen Gegebenheiten; hinter der Attraktivität als Wohnort steht dessen Attraktivität als Garant höherer Lebensqualität, ökologisch-sozial gesprochen: als Raum der kurzen Wege, der billigen und verlässlich fließenden Energie, der ausgewogenen Verhältnisse von ‚Arbeit‘ und ‚Freizeit‘ (wie immer diese beiden dann definiert sein werden) sowie last not least als Begegnungsort von ‚Natur‘ und ‚Kultur‘, als Hotspot dessen, was man das Symbolische Kapital des Wohlbefindens nennen könnte, welches immer dann gesucht und gefunden werden möchte, wenn die Basisbedürfnisse gestillt sind.

Ein letztes Mal zum agro-industriellen Komplex – und dessen nicht weniger konventionellen ‚Partnern‘ unschönen Angedenkens: Raubbau und Entwaldung, Flächenfraß, Ressourcenraub und Denaturierung. Deren Auswirkungen betreffen in erster Linie – genau! Nicht den urbanisierten Raum. Verwüstet und entwertet wird durch sie der ländliche Raum, was dessen Attraktivität als Lebensraum – und darüber hinaus als eigenständiges, wettbewerbsfähiges Biom – weiter mindert. So wie die Dinge in der postmodernen Wüste namens Weltallmende stehen, kann ‚Stadt‘ nur gewinnen (vgl. Liedl 2022, 280 ff., 293 ff., 305 ff.).*

Das urbane Biom auf dem Prüfstand: Drittens, Artenvielfalt und strukturelle Diversität. „Die gängige These, dass die ‚böse Stadt das gute Land frisst‘, ist nicht mehr haltbar!“ Genau. Einer der führenden Biologen im deutschsprachigen Raum wird nicht müde zu betonen, was sich langsam, sehr langsam, auch im öffentlichen Bewusstsein durchzusetzen beginnt und jener Binsenweisheit, die Stadt sei eine Betonwüste, in der nichts gedeihe, diametral entgegen steht. Urbane Landschaften sind für Flora und Fauna wahre Hotspots, und das Zusammenleben zwischen menschlichen und tierischen Stadtbewohnern „funktioniert meist hervorragend“. Womöglich noch wichtiger ist ein anderes Phänomen. Fest verankert in der ‚urbanen DNA' ist die Renaissance des Allmende-Gedankens, mit anderen Worten, Flora und Fauna „werden völlig zu Recht als Allgemeingut betrachtet, über das einzelne Interessenträger nicht allein verfügen dürfen“ (Reichholf 2023).*

Derzeit befindet sich die Welt der Städte in einer kritischen Übergangsphase, worin sich der Gegensatz Stadt-Land einem Kulminationspunkt nähert, ja vielleicht einem echten Kipppunkt. Wovon Flora und Fauna, wenn sie in die Stadt einwandern, profitieren, ist ja ein auf den ersten Blick höchst unorthodoxer Zustand: Das sogenannte flache Land verliert rasant an Lebensfreundlichkeit, seine Vitalpotenz schrumpft, während sie in der Stadt zumindest im selben Ausmaß, wahrscheinlich sogar darüber hinaus zunimmt. Da muss man nichts hineingeheimnissen – die Ursachen sind – um die Sache zugegebener Maßen plakativ, aber leider faktennah zu formulieren – in der Überausbeutung ausgeräumter Landschaften zu finden (sofern sie eben keine Stadtlandschaften sind), in einer uniformen Agrarstruktur, im Wildwuchs pseudo-urbaner (suburbaner) Bebauung, im profitgetriebenen Versiegelungswahn. Dem gegenüber sind urbane Lebensräume Schutzzonen, Rückzugsgebiete und inoffizielle ‚Nationalparks‘, von denen aus – wenn es denn je dazu kommen sollte – eine Wiederbesiedlung des Umlandes (das seinen Charakter allerdings zuvor gründlich ändern müsste) erfolgen mag.

Der Biologe Reichholf schildert das ‚Naturschutzgebiet Stadt‘ als das, was es ist – eine Wiederaufnahme des Allmende-Gedankens, wonach, wie es ein englischer Jurist der frühen Neuzeit einst als Rechtfertigung für strenge Forstgesetze seinem König in den Mund gelegt hat, zum Begriff der ‚Nation‘ – also aus städtischer Sicht zur Nachbarschaft, zur Community, mediterran gesprochen zu den Vecinos –  auch die anderen, die nicht-menschlichen Lebewesen gehören (vgl. Manwood 1717, 143; Liedl 2022, 94 ff.).* Reichholf: „Immer mehr dehnt sich diese Haltung auch auf die Säugetiere aus. Nicht nur Eichhörnchen werden beobachtet und gefüttert, sondern auch Biber an Stadtgewässern, Waschbären in Hinterhöfen, Füchse im Garten und die Igel ganz allgemein, obgleich gerade sie wirklich keine Streicheltiere sind. Ein gewisser Trend, Gärten schmetterlings- und wildbienenfreundlicher zu gestalten, macht sich bemerkbar. Baumschutz gehört zur Selbstverständlichkeit.“*

Schlauer urbaner Nischenfuchs | © Josef H. Reichholf

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Das eigentliche Geheimnis städtischer Artenvielfalt und der biologischen Tragfähigkeit von Stadtlandschaften ist natürlich nicht die aufgeklärt-naturalistische Denkungsart einer tier- und pflanzenfreundlichen Stadtbevölkerung; der eigentliche – ‚objektive‘ – Grund ist ein struktureller, auf ökologisch-geographischen Faktoren beruhender Wirkzusammenhang (cause-effect correlation). Das wird klar, wenn man die aufgrund der Territoriumsgröße theoretisch zu erwartende mit der im Stadtgebiet tatsächlich festgestellten Populationsgröße bestimmter Schlüsselarten (zum Beispiel Brutvogelarten) vergleicht. Hören wir wieder den Biologen:

„Zur Vogelwelt ist zu sagen, dass ihr Artenreichtum mit der Flächengröße der Städte ansteigt. Doch der Flächeneffekt erklärt nur etwa die Hälfte der Artenvielfalt. Die allermeisten Städte liegen deutlich über dem ihrer Flächengröße gemäßen Erwartungswert […]. Dass dem so ist, liegt an der besonderen Vielfalt an Strukturen, die es in den Städten gibt. Was ist mit ‚Strukturvielfalt‘ (wissenschaftlich: struktureller Diversität) gemeint? Sie umfasst nicht allein die uns geläufigen Hauptbestandteile, wie Gebäude, Straßen und Verkehrstraßen, Gärten und Parks sowie die Gewässer in der Stadt, sondern für jede dieser Kategorien zahlreiche Detailstrukturen. […] Kein natürlicher Lebensraum erreicht in dieser Hinsicht eine vergleichbar hohe Strukturvielfalt. Das gilt wiederum grundsätzlich auch für das enorm dichte Netzwerk von Straßen und Trassen, die verbinden und trennen. […] Zu dieser Raumstruktur am Boden mit tausendfacher Wiederholung in dennoch nie gleicher Version kommt eine weitere Strukturierung in der Vertikalen hinzu. Von offenem oder kurzrasig gehaltenem Boden über angelegte Beete mit unterschiedlicher Bepflanzung bis zu knie-, brust- oder übermannshohen Hecken entlang der Umzäunung und unterschiedlich hohen Bäumen reicht das Strukturspektrum.“*

Man vergleiche damit die durchschnittliche agrarisch-industriell genutzte Landschaft außerhalb der Städte. Das Wort ‚Wüste‘, so gerne gebraucht, um Stadtlandschaften zu beschreiben (‚Betonwüste‘) – wäre es nicht zur Definition des flachen Landes (und wie es heute genutzt wird) viel besser geeignet? Ist nicht das Wort Agrarsteppe in diesem Zusammenhang – – – purer Euphemismus?

Schöne neue Welt der Städte? Ein Fazit. Unsere Überlegungen zur Welt im klimabedingten Krisenmodus waren von der Überzeugung ausgegangen, dass die urbane Landschaft wie keine zweite den generellen Zustand des Globus wie in einem Spiegel, ja wie im Zerrspiegel vergrößert, vergröbert wiedergebe. Wenn man sich aber die Antworten ansieht, welche ‚die Natur selbst‘ in Gestalt zahlreicher Lebewesen gibt, denen Städte offensichtlich lieber sind als ihre angestammten ländlichen Provinzen, dann muss man sich sagen: wir Urbanen jammern eindeutig auf hohem Niveau.

Doch umgekehrt betrachtet, passen Jeremiaden und Fasziniertsein von urbanen Lebensräumen eigentlich ganz gut zusammen – halbwegs ernst genommen wird man als pessimistischer Jeremias, als Prophet der Katastrophen nur in der Stadt (‚Stadt‘ als Synonym verstanden für jenen Ort, wo Kants Dictum vom ‚Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit‘ mehr oder weniger gilt). Nur die urbane Lebens- und Denkungsart ist dünnhäutig genug, Gefahren so zu wittern (ich sage nicht: wahrzunehmen), dass sich Lösungen vielleicht gerade noch ausgehen. Auf dem flachen Lande – das weiß man seit Ur und Uruk, seit Babylon und dem antiken Rom – sind die Bärenhäuter zuhause. Soviel zum Thema Dickfelligkeit.

„Als Stadtbewohner mag der Mensch dem Klimawandel einigermaßen erfolgreich Tribut zollen. Auch außerhalb der städtischen Agglomerationen, in den stadtnahen oder stadtfernen, mehr oder weniger kultivierten Ruedos (ringförmigen Landschaftszonen) werden sich mit oder ohne des Menschen Zutun Floren- und Faunenelemente neu, das heißt klimagerecht formieren, mischen und einnisten. Je näher zu den megalopolen Gravitationszentren einer dicht besiedelten Menschenwelt diese ‚Ringe‘ und ‚Zwischenräume‘ zu liegen kommen werden, desto artifizieller und abhängiger von agro-kulturellen Systemen und Kreisläufen werden sie sein. So werden sich relativ kleinräumig gestaltete Landschaften, in denen sich Vieh- und Wildtierzucht* mit Ackerbau und Gartenbau mischen, nach außen graduell zu immer einförmigeren, großartigeren und vor allem menschenleeren Räumen wandeln, in denen nun tatsächlich einem alten Ideal des Tier- und Pflanzenschutzes entsprechend Natur ‚sich selbst überlassen‘ bleiben kann. Vielleicht sind solche Zwischenräume und Ränder nicht gefeit davor, sich in Grauzonen der Ausbeutung zu verwandeln. Was es dennoch mit Sicherheit geben wird: Tabuzonen des sozusagen wieder hergestellten Gleichgewichts. Und seien es auch nur einige tolerierte Zwischenräume, Naturkorridore als Verbindungsachsen von Biotop zu Biotop“ (Liedl 2022, 307 ff., Zitat leicht verändert, gekürzt).*

Man mag dieses Szenario für wahrscheinlich halten oder auch nicht. Im letzteren Fall müsste man freilich zur (Öko-)Logik postmoderner, vertikal verdichteter (Mega-)Städte vom Typus Singapur oder Seoul separat Stellung beziehen und erklären, wie angesichts der Perfektion, ökologischen Verträglichkeit, Nachhaltigkeit und Lebensfreundlichkeit des urbanen Zentrums eine Peripherie aussehen muss, um mit so viel Vorsprung auch nur einigermaßen mithalten zu können; wie sie als nicht-urbane, strukturarme Peripherie die Start- und Nischenvorteile der raumsparend, weil vertikal verdichteten, energieeffizient gestalteten, mit Infrastruktur überreich ausgestatteten Metropole  auch nur einigermaßen wettmachen kann. Die Stadtgeschichte der letzten  zweihundert Jahre scheint zu lehren, dass wachsende urbane Zentren zwar einerseits das Umland ‚zersetzen‘ – sprich die eigenen Strukturen krebsartig in dieses Umland hinaus verlängern (mit ökologisch nicht unbedingt negativen, wiewohl sicherlich oft ambivalenten Folgen) –, andrerseits aber jenseits dieser Grau- und Vermischungszone einen weiteren ‚Ring‘ erzeugen – man könnte auch von einem Vakuum-ähnlichen Zustand sprechen –, wo Verödung und Ausdünnung herrschen.

Die Agrargeschichte der industriellen Ära sekundiert dieser Erkenntnis – und liefert ein indirektes Argument für die Strukturgesetzlichkeit der Stadt-Land-Divergenz. In den letzten 100 Jahren haben sich die Hektar-Erträge (Beispiel: Weizen) um mehr als 400 Prozent gesteigert, gleichzeitig sank die Rendite um etwa 25 Prozent (Preisentwicklung bei Nahrungsmitteln: vgl. Rossi 2009, 114).*

Preisentwicklung Lebensmittel 1900–1990 | © Alessandro Rossi

So grob das Bild ist, das die Statistik hier bietet, die Aussage und deren Konsequenzen sind klar. Die als Basis für Ertragssteigerung unabdingbare Strukturbereinigung, ist gleich Vergrößerung der Anbauflächen bei gleichzeitiger Verödung des Landschaftsbildes, ist gleich Ausräumung der Landschaft bis hin zur sprichwörtlichen Agrarwüste, spiegelt strukturgesetzliche Vorgänge innerhalb eines ökonomischen Kalküls, zum Beispiel die abnehmende Profitrate. Diesen Vorgang – dass sich ein ökonomisches Gesetz auf einem ökologisch-landschaftlichen Zustand sozusagen eins zu eins abbildet, ja geradezu spiegelt – gibt es im urbanen Raum in dieser Form nicht.

Wie auch immer. Klimafitness im urbanen Raum bedeutet – egal, was dafür an Maßnahmen im konkreten Fall getroffen werden muss: wenn man damit Erfolg hat, erhöht sich die Attraktivität des ‚Weltbioms Stadt‘ abermals um ein gutes Stück. Was dann wohl auch gleichbedeutend ist mit der Vergrößerung des Abstands zu all jenen Biotopen (und Biomen), die über jene Start- und Nischenvorteile ihrer urbanen Nachbarn nicht verfügen.

Für die Menschen bedeutet das eine deutliche Verschiebung überkommener Lebensweisen und Verhaltensmuster. Die ‚Ringe‘ rund um die urbanen Groß-Zentren, also jene peripheren Übergangs- und Grauzonen mit ihren abnehmenden ökologisch-ökonomischen Qualitäten werden eines mit hoher Wahrscheinlichkeit sein: relativ menschenleer. Dünn besiedelt, wie sie dann sind, mag sich sogar so etwas wie eine ökologische Trendwende in und an ihnen ereignen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Möglicher Weise werden sie auch zu Spielwiesen einer privilegierten Klasse von Nutzern, die aus dem volkswirtschaftlichen Wertverlust ganzer Landstriche einen persönlichen Gewinn ziehen – Stichwort Luxus-Latifundie in garantiert ruhiger Lage. Den damit verbundenen enormen Aufwand für eine halbwegs passable Infrastruktur wird man sich eben ‚leisten‘, wie man sich Luxusyacht und Privatjet ‚leistet‘ – als fürs Prestige unverzichtbares Symbolisches Kapital.

Volkswirtschaftlich entscheidend hingegen ist die produzierend-konsumierende Masse; welche – wenn die Prognosen richtig liegen – um die Mitte des Jahrhunderts 7,5 Milliarden Stadtmenschen stark sein wird (drei Viertel der Weltbevölkerung). Für die Stadtlandschaft bedeutet das: genau hier und nirgendwo anders wird sich die Wertschöpfung abspielen. Und die Menschen selbst  (nebst der kopfstarken und artenreichen Mitbewohnerschaft aus dem Tier- und Pflanzenreich)? Werden sie an ihrem strukturierten und diversifizierten Lebensmittelpunkt sesshaft? Wird ihre Mobilität zu- oder abnehmen? Wie globalisiert wird diese neue Community of urban dwellers noch sein, wenn sich praktisch alles, was Homo sapiens an Voraussetzungen für Bonheur benötigt, vor Ort befindet? Vertikales Wachstum an Orten der kurzen Wege mag man ja auch so interpretieren, dass die zu ebener Erde zurückgelegten Distanzen ebenfalls eher kurz sein werden.

Die Fragen sind natürlich immer noch die selben: Wer gewinnt? Wer verliert? Wer verzichtet worauf? Und wer nicht – im neuen, kompakten, vertikalen Lebensraum Stadtlandschaft? Möglicher Weise werden sich Naturgenuss, Unterhaltung, Erholung – gesetzt, diese Kategorien sind bis dahin noch nicht verschwunden – nur mehr für die Wenigsten an fernen Ufern abspielen oder mit exotischen Orten verbinden. Wie gesagt … gut möglich, dass der Hang zur Sesshaftigkeit inmitten grüner Öko-Stadtlandschaften wächst. Man soll den Wert der guten Nachbarschaft nicht unterschätzen. Das wussten schon die alten Polis-Zivilisationen.

In der Kommunikation, also digital, ist man ja ohnedies von Geburt an postmodern.

Will sagen: Weltbürger.

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*Zur typischen Reaktion des Menschen auf die ‚Klimaschaukel‘ vgl. Gottfried Liedl: Ökologiegeschichte. Ein Reader zum interdisziplinären Gebrauch, Band 1: Konturen, Teilband 1/1 – Das Anthropozoikum. Turia und Kant: Wien – Berlin 2018, 90 ff.

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*Zur Stadtökologie vgl. Gottfried Liedl: Das Zeitalter des Menschen. Eine Ökologiegeschichte. Turia + Kant: Wien – Berlin 2022, 243 ff. (besds. 280 ff., 293 ff., 305 ff.)

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*Zur urbanen Artenvielfalt vgl. Josef H. Reichholf: Stadtnatur. Eine neue Heimat für Tiere und Pflanzen. Oekom-Verlag: München 2023.

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*Zur englischen Forstgesetzgebung vgl. John Manwood: Manwood’s Treatise of the Forest Laws. Edition: William Nelson. 4th corr. & enl. ed. London 1717.

*Zum post-industriellen Szenario stadtnaher Landschaften mit Game Farming (Literaturauswahl):

John Dawson Skinner: An appraisal of the eland as a farm animal in Africa. Animal Breeding Abstracts, 35 (1967), 177–186; John Dawson Skinner: Productivity of the eland: An appraisal of the last five years research. South African Journal of Science, 67| 12 (1971), 534–539; Günter Reinken: Damtierhaltung. 2., neubearbeitete Auflage. Stuttgart 1987; Markus Nuding: Potential der Wildtierbewirtschaftung für die Entwicklungszusammenarbeit. Studie, erstellt im Auftrag des Tropenökologischen Begleitprogramms (TÖB) der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Eschborn 1996; Christoph Schüle: Ökosystemare Aspekte von Wildtiernutzungsstrategien auf der Südhalbkugel. Inaugural-Dissertation, Fachbereich VI (Geographie | Geowissenschaften) der Universität Trier. Trier 2004.

* Zur Entwicklung der Agrarpreise: Alessandro Rossi: Agrarpreise. Wiederholt sich die Geschichte? In: AGRAR Forschung 16 | 4 (2009), 112–117.

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** Stadt und Land:

Hansjörg Küster: Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa – von der Eiszeit bis zur Gegenwart. 4., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. München 2010, 376 ff.;

Gerlind Weber: Der (strukturschwache) ländliche Raum in Österreich – eine Standortbestimmung. In: Hubert Christian Ehalt |  Josef Hochgerner | Wilhelm Hopf (Hg.): „Die Wahrheit liegt im Feld“. Roland Girtler zum 65. LIT Verlag: Wien 2006, 78–90, hier: 81 f.;

Gerd Sammer | Gerlind Weber et al.: MOVE – Mobilitäts- und Versorgungserfordernisse im strukturschwachen ländlichen Raum als Folge des Strukturwandels. Im Auftrag des Rektors der Universität für Bodenkultur sowie der Landesregierungen von Burgenland, Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark. Wien 2002.

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*** Moderne und postmoderne Architektur (Literaturauswahl):

Leonardo Benevolo: Die Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. München 1978 ff. [Bari 1960]; Kenneth Frampton: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte. Stuttgart 1983 [London 1980]; Paul Goldberger: Wolkenkratzer. Das Hochhaus in Geschichte und Gegenwart. Stuttgart 1984 [New York 1981]; Thilo Hilpert (Hg.): Le Corbusiers „Charta von Athen“. Texte und Dokumente. Braunschweig – Wiesbaden 1984; Charles Jencks: Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition. Stuttgart 1980 [London 1977 ff.]; Charles Jencks: Spätmoderne Architektur. Beiträge über die Transformation des Internationalen Stils. Stuttgart 1981 [London 1980]; Philip Johnson: Texte zur Architektur. Stuttgart 1982 [Oxford 1979]; Le Corbusier (Schriften), hgg. von Willy Boesinger. Studio paperback: Zürich 1972 ff.; Le Corbusier: Städtebau, übers. u. hgg. von Hans Hildebrandt. Stuttgart 1979 [Reprint der Ausg. Stuttgart 1929]; Adolf Loos: Trotzdem. Wien 1982 [Unveränderter Neudr. der Ausg. Innsbruck 1936]; Nikolaus Pevsner: Europäische Architektur von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1978 [Harmondsworth 1943]; Roland Rainer: Kriterien der wohnlichen Stadt. Trendwende in Wohnungswesen und Städtebau. Graz 1978.

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**** Monica Tomaschek: Das Schöpfwerk. Städtische Wohnhausanlage der Siebzigerjahre. Abschlussarbeit am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien (unveröff. Typoskript): Wien 1985.

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***** Hans-Jörg Bullinger | Brigitte Röthlein: Morgenstadt. Wie wir morgen leben. Hanser Verlag: München 2012.

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****** Hydroponik-Verfahren:

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Definitionen:

BIOM. Lebensgemeinschaft von Tieren und Pflanzen in einem größeren geografischen Raum.

BIOTOP. Durch bestimmte Pflanzen- und Tiergesellschaften gekennzeichneter Lebensraum; bzw. Lebensraum einer einzelnen Art.