Eigentlich ist der Umweltschutz schon tot. Er weiß es nur noch nicht

Gottfried Liedl am 25. September 2023

Wir sind die Krone der Schöpfung
Na, dann is‘ ja gut
Nach uns die Sintflut, nach uns die Sintflut
Seid auf der Hut
Wir sind die Krone der Schöpfung
(Die Prinzen)

Gestern Nacht hatte ich einen Traum. Ich träumte von einem Gorilla, der sich auf die Brust schlug und dabei ausrief: „Ich geh‘ jetzt! Auf Nimmerwiedersehen.“ Als ich aufwachte, war mein erster Gedanke: Der Affe hat recht. Gorilla & Co. haben einfach das Pech, in einer Welt zu leben, die ihnen nicht gehört. Als mehr oder weniger geduldeten Untermietern der Menschheit überreicht ihnen jetzt der Gerichtsvollzieher den Räumungsbescheid: „Der Wohnungsbesitzer hat Eigenbedarf angemeldet.“

Als Pendant zum Traum gab‘s eine Lesung. Eine immerhin mit dem Wissenschaftsbuchpreis ausgezeichnete Autorin* stellte in einer renommierten Wiener Buchhandlung ihr neuestes Buch** vor und berichtete über Ergebnisse auf dem Gebiet der Elefantenforschung. Um es kurz zu machen – das Interesse an Loxodonta africana und Elephas maximus, beide Gattungen in großer Gefahr, von unserem Planeten auf immer zu verschwinden, hielt sich in Grenzen … Mehr noch: in der sehr überschaubaren Schar der Anwesenden war die Vortragende mit ihren 47 Jahren die eindeutig Jüngste im Raum, den Altersschnitt der Runde würde man mit 70 Jahren sicher nicht überschätzt haben.   

Kein Schwein interessiert sich für Elefanten. Es mag ja sein, dass für ‚die Menschheit‘ und in der so oft bemühten ‚(Kultur-) Geschichte der Menschheit‘ der Elefant ein emblematisches Tier ist. Für jene sehr konkrete Masse, gebildet aus mehr als acht Milliarden Individuen, die heute den Planeten bevölkern, ist er es ganz sicher nicht. Den meisten Erdenbürgern der Spezies Homo sapiens sind die anderen Arten – mit Ausnahme ihrer Eignung, von Homo sapiens verspeist oder sonstwie genutzt werden zu können – volkstümlich gesprochen wurscht (schnuppe, schnurz, piepegal, wayne … you name it). Die Aussage, dass der Elefant „bester Freund, Partner, Forschungssubjekt, Arbeitsgerät, Geldquelle oder Feind […] für einen Menschen sein [kann]“ (Stöger 2023, Seite 16), ist nur unter der Einschränkung wahr, dass es sich bei besagtem 'Menschen' um das Individuum einer Teilmenge handelt, die so klein ist, dass man sie mit der Lupe suchen muss. Nähe zur Natur, Verständnis für Natur oder gar Naturschutz waren stets und sind heute mehr denn je ein Minderheitenprogramm (BLOG # 20: Kaum Chancen für Mutter Erde).

Was Natur den Vielen bedeutet. Wenn der wackere Nachfahre Adams, die typische Evatochter egal wo immer auf diesem Planeten Natur interessant, nett, toll, wichtig oder sympathisch findet, liegt der Skeptiker, die stringent Denkende sicher nicht falsch mit der Vermutung, dass es sich bei solch positiver Einstellung zur Natur um ein höchst interessegeleitetes Verhalten handle. ‚Natur‘ ist dort, wo sie nicht Objekt unlustbehafteter Tätigkeit, vulgo Arbeit ist – also im Idealfall –, Sportgerät oder Kulisse: wandernd, Berge erklimmend beziehungsweise von den Gipfeln derselben per Mountainbike, Snowboard oder Ski zu Tale eilend, ist der aktive, um nicht zu sagen hyperaktive Mensch ganz bei sich; auch dem Einfamilienhausbesitzer sind Wald und Wiese nur Kulisse. Und dann ist da noch jenes kleine Segment der Hominiden, welche die Natur in Besitz genommen haben: als Quelle eines meist nicht unerheblichen, wiewohl prekären Reichtums. Und die Anderen, die Wenigen? Sie mögen sich auf den Kopf stellen, an Brückengeländer ketten oder auf die Straße kleben: die Herzen der Vielen gewinnen sie nicht.

Worüber die Chronik dennoch nicht schweigen sollte. „Jetzt erst recht.“ Manchmal trifft das Gift auf Gegengift. Zwar nur in kleinen Dosen, aber immerhin. Exkurs über drei Maßnahmen gegen die Trägheit des Herzens.

Maßnahme eins betrifft die Schwerkraft der Zeit: Man trachtet danach, Verschwindendes am Verschwinden zu hindern („aufgehaltenes Schwinden“). „Auf dem afrikanischen Kontinent sind erstmals seit einem Jahrzehnt mehr Nashörner als im Vorjahr festgestellt worden. Wie die Weltnaturschutzunion (IUCN) bekannt gab, lebten Ende 2022 fast 23.300 Nashörner in Afrika – und damit 5,2 Prozent mehr als noch 2021. Demnach stieg sowohl die Zahl der Breitmaulnashörner als auch die der Spitzmaulnashörner wieder an. Michael Knight, Wildtierforscher und Leiter der IUCN-Expertengruppe für Nashörner in Afrika, sprach von einer ‚guten Nachricht‘, dank der die Organisation ‚zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt wieder aufatmen‘ könne“ (Richard Klug, ARD Johannesburg).***

„Wieder aufatmen“ könnte nach dieser Lesart auch der Amazonas-Regenwald, sofern Maßnahme Nummer zwei hält, was sie zu versprechen scheint: „Es gibt Dinge, die wir loslassen müssen, wie zum Beispiel die Vorstellung, dass Brasilien eine Agrarmacht ist, weil es große für die Landwirtschaft geeignete Gebiete besitze und der Wald in Ackerland umgewandelt werden könne. Diese Idee muss aufgegeben werden. Null Entwaldung impliziert wirtschaftliche Aktivität nur in Gebieten, die legal genutzt werden können. Wir können nicht weiter nur vom Rohstoffboom leben – auch diese Idee muss aufgegeben werden“ (Marina Silva, brasilianische Umweltministerin in einem Interview mit Bloomberg Green: Bloomberg Green, Newsletter vom 15. September 2023).

Die Umwandlung politischer Theorie in umweltpolitische Praxis zeigt die dritte hier vorzustellende Maßnahme; im Mittelpunkt steht wieder der Amazonas-Regenwald mit dessen autochthonen Bewohnern als ‚Wächtern des Waldes‘: „Der Einsatz hochtechnologischer Überwachungsinstrumente [Drohnen] in einem der tiefsten Winkel des Amazonas-Regenwaldes [Ecuadors] zeigt, wie fortschrittliche Technik genutzt werden kann, um Abholzung und andere illegale Aktivitäten, welche die Ökosysteme schädigen, zu verhindern. Zugleich ist das ein Beitrag zum Schutz traditioneller Lebensweisen. […] In Ecuador besitzen indigene Gemeinschaften Landrechte an großen Teilen des Amazonasgebiets, das die östliche Hälfte des Landes ausmacht“ (Drohnen für den Amazonas: Bloomberg Green, Newsletter vom 22. September 2023).   

Wohl wahr, es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Gedanken zum Tod der Umweltschutzbewegung. Man kann es auch übertreiben. An einem bestimmten Punkt führt der Appell, gut zu sein, zum Überdruss am Guten. Dreimal täglich Wienerschnitzel, siebenmal die Woche, ist wahrscheinlich eine äußerst probate Methode, Fleischfresser zu Veganern zu machen. Romantischer Überschwang in der Wertschätzung egal welcher Sache führt bei den Wertschätzenden selbst in der Regel zu Messianismus und bei den Missionierten zum Nein, danke-Syndrom. „Die Natur wird’s schon richten. Lass‘ sie nur machen … und mich in Ruhe.“ Vielleicht ist es ja nicht nur logisch sondern auch vernünftig, dass die Vielen dem Trägheitsmoment huldigen und so das Schwungrad des Eiferers bremsen. Dass die Chronik, die das Erinnerungswürdige für die Vielen aufbewahrt, in Bezug auf Missionare und Eiferer eher zum Schweigen tendiert, ist so betrachtet kein Wunder. Obwohl sicherlich kein unumstößliches Naturgesetz, ist auf dem Felde der Geschichte der Widerwille der Chronisten, dem Extremismus ein Gedächtnis zu geben, nützlich, sozial bekömmlich und daher in Ordnung.

Nachsatz: Weniger sozial Bekömmliches (Stichwort: Gier) ist unlängst von der Umweltsprecherin einer österreichischen Partei im Parlament angesprochen worden. Rohstoffverbrauch & Bodenverbrauch, in der Alpenrepublik ohnehin schon weit über EU-Durchschnitt liegend, will einfach nicht geringer werden. „Weil es um ein riesiges Wirtschaftsgut geht, an dem alle auch immer gut verdient haben.“ Der Clou liegt im Wörtchen ‚Alle‘. Der Begriff bedeutet hier die Gesamtheit einer Minderheit, die glaubwürdig und überzeugend (Stichwort: Reichtum) den Vielen zeigt und sagt, wo‘s lang geht.

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* Angela Stöger ist eine österreichische Ethologin,  Kognitionsbiologin, Expertin für Bioakustik und Lautkommunikation mit dem Schwerpunkt Elefantenforschung. Sie arbeitet am Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und am Mammal Communication Lab der Universität Wien.

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** Stöger 2023 = Angela Stöger: Elefanten. Ihre Weisheit, ihre Sprache und ihr soziales Miteinander. In Zusammenarbeit mit Patricia McAllister-Käfer. Christian Brandstätter Verlag: Wien 2023  

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*** Richard Klug, ARD Johannesburg, Tagesschau, 22.09.2023, 20:00 Uhr: Über das aufgehaltene Verschwinden der Nashörner

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