„Wenn ich es mal so ausdrücken darf: Sie drehen sich im Kreis, und das macht sie wütend.“ – „Du hast leicht reden in deinem komfortablen Lehnstuhl. Hättest du statt einer fetten Beamtenpension bis über beide Ohren Schulden und einen Hof, der mehr kostet als er bringt ... Und Vater Staat kürzt dir dann auch noch die Subventionen.“ – „Schon gut, ich habe verstanden. Aber in einem System, wo die Höfe und Traktoren immer opulenter werden – ‚Stets das Gleiche, nur mehr davon‘ (Einfallslosigkeit gepaart mit Größenwahn) –, darf man nicht überrascht sein, wenn sich‘s am Ende nicht ausgeht. Und was die Subventionen betrifft – alles Steuergelder. Irgendwann wacht das Volk auf und will zumindest wissen, wohin sein schönes Geld geflossen ist. Und was es selbst davon hat.“ – „Wohlfeile Lebensmittel zum Beispiel.“ – „Den Wert dieses Arguments würde ich stark in Zweifel ziehen. Die gesellschaftlichen Kollateralschäden industrieller Landwirtschaft können sich sehen lassen – da möchte ich als Steuerzahler zumindest beim Einsatz der Subventionen ein Wörtchen mitreden können. Noch mehr Gülle im Grundwasser? Immer mehr Pestizide? Immer weniger Biodiversität? Und wenn dann die Steuer zahlende urbane Mehrheit über die Verwendung der eingesetzten Steuergelder von der Minderheit Rechenschaft verlangt (denn das sind unsere geschätzten Kollegen aus der subventionierten Landwirtschaft: eine Minderheit im Staate), setzt man sich auf den Monstertraktor und blockiert die Autobahn?“*
Gewinner, Verlierer. Beginnen wir mit der zweiten, der leichteren Frage: Wer verliert? Im Spiel des Lebens nach Art des Hauses sind die Benachteiligten eindeutig in der Überzahl – vom schrumpfenden Bodenleben über die schwindende Vielfalt der Landschaften bis zum Menschen, der die Ignoranz und Gleichgültigkeit, ob er es nun weiß oder nicht, mit seiner physischen und psychischen Gesundheit bezahlt. Das gilt für beide Seiten gleichermaßen, für die Konsumenten in den Städten wie für die Produzenten auf dem flachen Land. Die Wut der Bauern hat eine sinistre Kehrseite: unter keiner anderen Berufsgruppe ist die Selbstmordrate höher.
Zur ‚Schuldfrage‘ (wenn man es denn so formulieren mag) fällt einem nicht viel Neues ein. Außer dass es neben der sprichwörtlichen Schweigenden Mehrheit auch das Schweigen der Anderen gibt, jener Wenigen, deren gesellschaftspolitischer Einfluss maximal ist. Und nein, damit ist nicht die Minderheit der Landwirtschaft treibenden Bürger und Bürgerinnen gemeint. Deren Einfluss auf die Gesellschaft ist das Gegenteil von maximal, wie ihre blinde Wut zeigt. Dass sich, wie es heißt, „Männer mit großen Traktoren als das ‚Volk‘ präsentieren, das sich gegen die Politik erhebt,“ beweist somit gar nichts.* Den eigentlichen Gewinn, wenn sich nichts ändert am Status quo, für den sich die „Männer mit den großen Traktoren“ stark machen, haben die Strippenzieher im Hintergrund, Protagonisten der oben erwähnten Schweigenden Minderheit. Wirklich erfreut über das Show off bäuerlicher „Petromaskulinität“ (die Politikwissenschaftlerin Cara Daggett)* kann das angesprochene ‚Volk‘ – die Mehrheit der Konsumenten – gar nicht sein („die Bauern protestieren nur für sich“).* Wirklich erfreut darüber sind die investierten Super-Player der Agro-Industrie samt Biotechnik, Chemie und Banken.
Interessen vor und hinter dem Vorhang. Vor dem Vorhang und auf offener Bühne protestieren Landwirte gegen arrogante Besserwisser aus der Stadt für den Status quo auf dem Lande: „Wir brauchen Pestizide. Wir wollen keine unproduktiven ‚Grünstreifen‘ neben unseren Äckern für eure ‚Renaturierungen‘. Wir benötigen jeden Quadratmeter Boden (allenfalls, um ihn zu Bauland zu machen). Und wir müssen die Jauche aus unseren Mastställen loswerden.“ Die Antwort des arroganten Besserwissers lautet: „Das mag sich alles so verhalten, wie ihr sagt. Nur dass es nicht das eigentliche Problem ist. Das eigentliche Problem am Status quo sind die stagnierenden Gewinne. Eure stagnierenden Gewinne.“
Gewinne in exponentiell steigender Höhe werden nicht vor sondern hinter dem Vorhang gemacht – unter Ausschluss der Öffentlichkeit namens ‚Volk‘. Vor dem Vorhang werden ‚Strukturen bereinigt‘ sprich Kredite aufgenommen, für deren Rückzahlung Subventionen nötig sind, gespeist aus Steuern der Schweigenden Mehrheit. Angesichts der Alternative: to have or not to have, sitzen Landwirt, Konsument und städtischer Besserwisser dann doch wieder in einem Boot.
Im Prinzip sind der Status quo auf dem Lande und das Schicksal der ländlichen Klientel den übrigen Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen herzlich egal. Freilich nicht egal ist ihnen der ländliche Output: das möglichst billige Lebensmittel. Die Lateralschäden und wer den Schaden letztlich bezahlt, nämlich sie selbst, bleiben ihnen in der Regel verborgen. Und man sage nicht, dass mittlerweile jedes Kind um diese Schäden weiß. Jedes Kind – vielleicht. Alle anderen üben sich in Verdrängung: „Keine Erhöhung der Lebensmittelpreise, haben wir uns verstanden?“
Alle mit Ausnahme der Besserwisser. Diese meinen, dass es vernünftig wäre, das Steuergeld statt in Subventionen zur Aufrechterhaltung eines prekären Status quo in Investitionen zu dessen Veränderung zu stecken. Sie werden auch nicht müde zu wiederholen, dass die Verbraucherpreise nicht am Bauernhof gemacht werden, und dass Landwirte, Agrar- und Lebensmittelindustrie nicht in einem Boot sitzen, Landwirte und Konsumenten dagegen schon.
Im selben Boot. Es gibt unzählige Punkte, in denen Landwirtschaft, Konsumenten und vielleicht sogar die Gesellschaft als ganze identische Interessen haben. So viele, dass hier nur ein paar der spektakuläreren Beispiele angeführt seien. Beispiel Nummer eins – ein Dauerbrenner und zuletzt wieder hoch aktuell, die Frage: Wem gehören Lebewesen? Sind die Arten und Sorten, die wilden und die züchterisch veränderten Spezies Gemeingut – Weltallmenden? Oder darf über sie das Verfahren der Aneignung eröffnet, der monopolistische Anspruch einer Minderheit auf exklusive Verfügungsgewalt erhoben werden. Bei einer Patentierung nicht nur künstlich veränderten sondern jeglichen Saatgutes – ein Damoklesschwert, das, seit es Biotechnologie, Agrochemie und Industrielle Landwirtschaft gibt, gleichermaßen über Landwirten und Konsumenten schwebt –, wären beide, Erzeuger und Konsument entmündigt; keiner hätte noch Wahlfreiheit, der landwirtschaftliche Produzent nicht hinsichtlich der Pflanzensorten und Tierrassen, die er züchten möchte, der Konsument nicht hinsichtlich der Frage, aus welchen Rohstoffen sein Essen bestehen soll.**
Zweitens wäre da die Politik. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Gott mag ja helfen. Ob das auch für Bauernbünde, Landwirtschaftskammern und Parteien gilt, fragen sich Landwirte und Bäuerinnen seit langem. Hier heißt es wohl eher follow the money – und zwar the really big one. Wer zu Investitionen rät und zugleich Kredite vergibt, hat vielleicht doch nicht so ganz das Wohlergehen seines künftigen Schuldners im Sinn. Nicht in dieser Welt.
Drittens das Thema Wohlfahrt: physische und psychische Gesundheit. Auch auf dem Lande sind Gier und Prestigedenken zwei eher schlechte Ratgeber in Sachen Innerer Friede. Ein Leben und Zehren von der Substanz, ohne Rücksicht auf Verluste (eigene und die anderer, zum Beispiel solche, wie sie die Natur erleidet, wenn man nicht behutsam mit ihr verfährt) trägt weder zum gesellschaftlichen noch zum individuellen Glück besonders viel bei. Vom öffentlichen Ansehen ganz zu schweigen. Und das will man doch, das braucht man. Schon wegen der Subventionen.
Viertens: Bildung. Weder muss eine einmal gewählte Produktionsweise den eingefahrenen Geleisen in alle Ewigkeit folgen (außerdem: Wer hat die Geleise verlegt? Und wem zu Nutzen?); noch ist diese oder jene Ansicht über Gott und die Welt in Stein gemeißelt. Neue Denkungsart führt zu neuer Methode und diese zu neuen Produkten. Wenn Produzent und Konsument einander wirklich zuhören, wer weiß, was dabei herauskommt. Mehr Hirnschmalz bei weniger Dieselverbrauch (statt Mega-Trekker und Wut im Bauch)? Direktvermarktung? Ressourcenschonung? Energieeffizienz? Humusaufbau, Renaturierung und Klimaschutz? Alles ist möglich. Nichts ist fix.
Den Bauern und Bäuerinnen der romanischen Nationen ist das schon lange klar. Sie protestieren ebenfalls, dass die Schwarte kracht. Aber wenn der Eindruck nicht täuscht, so tun sie das auf intellektuelle Art, wo Bodenständigkeit und Gesellschaftskritik keine Gegensätze sind sondern einander ergänzen. Und diesseits des Rheins? Nur Wut im Bauch und Agrodiesel im Tank werden nicht ausreichen, den Teufelskreis aus Profiten, die nicht die euren sind, und Subventionen für einen Status quo, an den die Steuer zahlende Mehrheit nicht mehr glaubt, zu durchbrechen. Im Klartext: Wenn ihr nicht aufpasst, werdet ihr alles verlieren. Nicht nur den Status quo. Sondern auch Haus und Hof.
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*Reportage: „Warum die Bauern erfolgreicher sind als die Klimaaktivisten“ (zu den deutschen Bauernprotesten vom März 2024)
** Wem gehören Lebewesen? Zahlen und Fakten zur Saatgutfrage.
Siehe auch BLOG # 19 vom 9. Januar 2023: „Welt-Allmende“
Vier Agrarindustriekonzerne, BASF, Bayer, Syngenta und Corteva beherrschen mit mehr als der Hälfte des gehandelten Saatguts den Weltmarkt. Ihr Ziel ist ein generelles gesetzliches Verbot, nicht zertifiziertes beziehungsweise nicht patentiertes Saatgut zu züchten und in Verkehr zu bringen. Das hätte zur Folge, dass kleine Landwirte, die sich eine kostspielige und aufwändige Zertifizierung nicht leisten können, ihre eigenen Pflanzen nicht mehr vermehren, tauschen oder verkaufen dürften. Das würde – bei schon heute nur mehr 30 ernährungspolitisch bedeutenden Pflanzen, die weltweit gehandelt werden – eine gefährliche Ausdünnung des Genpools bedeuten. Der Kulturpflanzenschwund, dem (nach Angaben der FAO) in den letzten 100 Jahren bereits 75 Prozent der Nutzpflanzen zum Opfer gefallen sind, würde sich weiter fortsetzen, ja beschleunigen.
Abgesehen von diesem konkreten ökologischen Problem stellt sich eine ethisch-philosophische Grundsatzfrage. Es geht um die Frage, ob das Konzept ‚Privateigentum‘ hier überhaupt anwendbar ist oder ob solche Anwendung eine unzulässige Überdehnung besagten Konzepts wäre. Privateigentum, als Recht definiert, mit einem in ausschließlicher Verfügungsgewalt stehenden Gegenstand nach freiem Ermessen zu verfahren, impliziert auch das Recht der Zerstörung und Vernichtung. Bei konsequenter Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes auf ganze Klassen von Lebewesen, also beispielsweise bei Zertifizierung und Patentierung von Arten oder Unterarten, Rassen oder Zuchtsorten, bedeutete das den Freibrief, nicht nur einzelne Individuen (Tiere, Pflanzen), sondern ganze Spezies (Tier- oder Pflanzenarten) als Ressource anzusehen, die im Extremfall ‚verbraucht‘, sprich straflos ausgerottet werden kann. Der logische Widersinn einer solchen Konstruktion sollte eigentlich ins Auge springen und jeden Versuch der Verrechtlichung monopolistischer Ansprüche auf ganze Klassen von Lebewesen im Keim ersticken. Sollte …