Im Blog # 23 vom 17. Mai 2023 wurde die Vorgeschichte der „Agrarisierung der Welt“ (© Gottfried Liedl) aus einer eher missmutigen Perspektive erzählt: wie es nach recht bedenklichen Anfängen – der sogenannten Agrarrevolution des europäischen Mittelalters – zur Industrialisierung, ja Globalisierung der Landwirtschaft kam. Erzählt und nachgestellt wurde das Werden einer ganz bestimmten, alles andere als ökologisch harmlosen Landwirtschaft, die man eigentlich ‚Misswirtschaft‘ nennen müsste angesichts ihrer Folgen für den Boden, welchen besagte ‚Landverwerter‘ vulgo Landwirte weniger bestellen als vielmehr entstellen (wenn ihr mir das etwas holprige Wortspiel nachseht, geschätzte Leserinnen und Leser dieses … Selbstgesprächs).
Zu jenen Landwirten, so meinte ich, soll man deshalb nicht ‚Bauern‘ sagen (Blog # 22 vom 18. März 2023). Dazu ist der von ihnen angerichtete Schaden zu groß und ihr Unrechtsbewusstsein zu klein. „Auf mehr als einem Drittel aller Anbaugebiete nimmt die Bodenqualität ab (Degradation). Hauptursache ist die Erosion durch Wasser und Wind. Niederschläge und Fließgewässer spülen den Boden fort, der Rest wird vom Wind verweht. In vielen Regionen ist in den letzten 150 Jahren die Hälfte des fruchtbaren Ackerbodens auf diese Weise verloren gegangen. Auch chemische Veränderungen sind am Verlust der Bodenqualität beteiligt. Sie gehen auf Überdüngung, Missbrauch von Pestiziden, Versalzung durch unsachgemäße Bewässerung und auf ‚Sauren Regen‘ zurück. Zusätzlich verringert Wüstenbildung (Desertifikation) die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen“ (Schuh 2008, Seite 148).*
We feed the world? Von wegen. Moderne, sprich in Europa ‚erfundene‘ und jetzt global verbreitete Landwirtschaft ist möglicherweise in der Tat nicht viel mehr als eine Ansammlung Potjomkin’scher Dörfer. Der schlaue russische Fürst und Geliebte der Zarin Katharina der Großen, Potjomkin, hatte seiner Gebieterin eine blühende, gut verwaltete Landschaft vorgespiegelt, indem er die Kaiserin auf eine Inspektionsreise mitnahm, die an perfekt inszenierten … Kulissendörfern vorbeiführte. Heute sind es die großen Player der Agroindustrie, die uns an der Nase herumführen: „We feed the World“. Das ist genauso wahr wie das den Amerikanern im Jahre 1862 gegebene Versprechen, auf den Prärien des ‚goldenen‘ Westens eine neue Heimstatt für sie zu bereiten. Aus dem berühmt-berüchtigten Homestead Act (berüchtigt, weil er die indianische Urbevölkerung ihres Lebensraums und ihrer Bisons beraubte) ging nicht die ertragreiche bäuerliche Landschaft hervor, die man an die Stelle der weiten Prärien zu setzen versprach; zwei Generationen später – am Beginn des 20. Jahrhunderts – war das vermeintliche Ackerland zur Staubwüste verkommen, ein Raub der Dustbowls, der Sandstürme, die riesige Gebiete der ehemaligen Prärie unbewohnbar und in der Folge menschenleer machten. Und das ist nur ein Beispiel unter unzähligen anderen, ein höchst bezeichnendes freilich.
We feed the world, tönt die Agroindustrie von Cargill bis Monsanto. Die Wirklichkeit sieht anders aus: „70 bis 75 Prozent von dem, was wir konsumieren, wird von Kleinbauern produziert. Großbetriebe produzieren oft große Mengen an landwirtschaftlichen Rohstoffen, doch wenig davon dient als Nahrung. Industrielle Landwirtschaft kann keine Nahrung produzieren, ohne den Boden und das Leben der Bauern zu zerstören“ (Olivier De Schutter, Report an die Vereinten Nationen, 2011).**
Wenn die Diagnose stimmt – und welchen triftigen Einwand könnte man der Aussage des Experten entgegen setzen, es sei denn, aus unsauberen ideologischen Motiven? –, klingt die Rede vom ‚Erfolgsmodell‘ moderner westlicher Agrikultur ziemlich schal. Auch eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis des Nutzens zu den Kosten kann nur negativ ausfallen, wenn man aus Sicht der Umwelt urteilt, welche diese Kosten zu tragen hat. Damit stehen wir freilich immer noch auf exakt jenem Standpunkt, den ich „aus einer eher missmutigen Perspektive“ heraus eingenommen und in die Erzählung von der ‚Agrarisierung der Welt‘ hatte einfließen lassen.
Ein anderer Standpunkt – eine andere Geschichte. Freundinnen und Freunde der Natur könnten hier einwenden, dass die Welt nicht schwarz und weiß sondern bunt sei; und dass Ökologiegeschichte weder mit der Geschichte Europas oder des sogenannten Westens beginne noch mit dieser Geschichte ende. Danke für die Erinnerung. Ein Sensorium für die Gefahren, welche allzu unbekümmerte Eingriffe in die Umwelt mit sich bringen, findet sich bereits in „Büchern über die Landwirtschaft“ aus dem Mittelalter. Geschrieben wurden diese – nennen wir sie ruhig so – ersten Ökologiehandbücher von Gelehrten einer Weltgegend, die aus heutiger Sicht eher nicht als Hotspot eines sensiblen Umgangs mit der Natur gilt. Das war vor einem guten Jahrausend offenbar anders. Offenbar haben sich Autoren jener Region, die man etwas vereinfachend die Islamische Welt des Mittelalters nennen mag, in ihren Kutub al-Filāha, den „Büchern der Landwirtschaft“ über Tierhaltung und Pflanzenzucht, Bodenbestellung und Bewässerung, Erosion, Bodenversalzung und Verwüstung (und wie man ihrer Herr wird) Gedanken gemacht. Und die Schlussfolgerungen von damals würden einem umweltbewussten Landwirtschaftsexperten von heute alle Ehre machen.
Herausforderungen. Die Landwirtschaft des Mittelalters in den riesigen Räumen des Islamischen Kulturkreises begegnete ähnlichen Gefahren wie die globalisierte und industrialisierte Agrikultur der Jetztzeit. Die Hauptfrage damals wie heute ist die Bodenfrage. Hier wie dort hängt das Wohlergehen der Menschen von der prekären Qualität der Ackerkrume ab, hier wie dort lautet der Weisheit letzter Schluss „zu wenig fruchtbares Land und nicht genügend Wasser“. Während aber der modernen Landwirtschaft europäisch-westlichen Zuschnitts ihre eigenen inneren Widersprüche im Wege stehen – vor allem ein jeder Nachhaltigkeit Hohn sprechender Expansionismus –, hatte der Landmann in der Islamischen Welt mit äußeren Widerständen zu ringen, solchen, wie sie ihm ein abweisender Raum, eine harsche Umwelt, eine wenig freigiebige Natur entgegen setzten.
In der Welt des Islam sind die für Ackerbau und intensive Viehzucht geeigneten Gebiete stets relativ kleine Einsprengsel in riesigen Steppen- und Wüstenzonen gewesen. Auch ein landwirtschaftlicher Aufschwung kam in der Regel vor allem dem Wachstum der Städte zugute und konzentrierte sich fast ausschließlich auf Flusstäler, einige Küstenregionen und unterschiedlich große Oasen. Die halbtrockenen Landstriche zwischen diesen Gunstzonen konnten bestenfalls für die Herden der Nomaden genutzt werden.
Naturräume und Regionen – die islamische Welt des Mittelalters © G.Liedl
Die islamische Welt hatte daher in viel größerem Maß als Europa, wo das Bevölkerungswachstum des Hochmittelalters durch die Gewinnung immer neuer Böden zu großen geschlossenen Siedlungsräumen führte, mit dem Problem riesiger, fast menschenleerer Gebiete zu kämpfen. Dennoch ist die mittelalterliche Welt des sogenannten Orients gerade für die agrarische Expansion des sogenannten Westens von höchstem Interesse. Sozusagen als beispielhafte Blaupause nämlich, vielleicht sogar als Gegenbeweis.
Privilegierter ‚Westen‘? Ein zweigeteiltes Mittelalter mit identischen Problemen. Europäer haben dem Süden und Osten, etwa der Mittelmeerwelt samt angrenzenden Regionen schon immer gerne nachgesagt, ein Musterbeispiel für Raubbau und ökologische Verarmung zu sein. Bodenzerstörung, Entwaldung, Desertifikation werden als geradezu typisch für die Länder südlich und östlich der ‚glücklichen Zonen‘ Nordwest- und Zentraleuropas angesehen. Was dabei geflissentlich vergessen wird: Auch unter den scheinbar ganz anderen Bedingungen des west-, mittel- und osteuropäischen Waldklimas vollzog sich ab dem Moment, wo Nachhaltigkeit zugunsten der Expansion aufgegeben wurde, der Niedergang. Nur eben etwas später. Die systematische (und systemische, das heißt systemimmanente) Zerstörung der scheinbar unerschöpflichen europäischen Waldgebiete, die sich in Nordamerika wiederholt hat und derzeit in den letzten verbliebenen Waldzonen der Tropen wütet, hat zu keiner Verbesserung der Ernährungssituation geführt. Hungerkrisen vom Spätmittelalter bis zur Industriellen Revolution werfen auf die vermeintliche Effizienz einer Landwirtschaft unter feudalen Vorzeichen – besser bekannt als ‚Agrarrevolution des Mittelalters‘ – ein fragwürdiges Licht. Überall gelten die gleichen Gesetze der Ökologie – Missachtung des Prinzips ‚Nachhaltigkeit‘ rächt sich eben; die Folgen sind Bodenverarmung, Erosion und in letzter Konsequenz Missernten und Hungersnot.
Ein Gegenentwurf. Landwirtschaft, die ihre natürlichen Grenzen überdehnt, führt überall zum gleichen ruinösen Ergebnis. Also waren auch die mittelalterlichen Autoren der Kutub al-Filāha, der ‚orientalischen‘ Handbücher für den Landwirt, mit den selben Problemen konfrontiert wie die heutige globalisierte Landwirtschaft ‚europäischen‘ Zuschnitts. So könnte man sagen. Überall dort, wo die Ausweitung von Landwirtschaft über die naturräumlich gegebenen Grenzen hinaus ging, hatte der anfängliche Überschuss ein klar bestimmbares Ablaufdatum. Dagegen galt es einen Musterkoffer an Betrachtungen und Unterweisungen zum Thema Nachhaltigkeit zu entwickeln. In ihren ‚Büchern der Landwirtschaft‘ haben sich Gelehrte vom Schlage eines Ibn Wāfīd, Ibn Bassāl, Ibn al-Awwām oder At-Tignarī (die hier als einige wenige Beispiele stellvertretend für einen ganzen Wissenschaftszweig stehen) mit Tier- und Pflanzenzucht, mit Fragen der Bodenbehandlung und Bodenverbesserung, der Einrichtung von Bauernstellen oder Gutsbetrieben, dem Bau von Wasserleitungen, der Anlage von Beeten oder Gärten, dem optimalen Standort der verschiedenen Baumarten, den idealen Pflanz- und Erntezeiten, dem Import und der Akklimatisierung neuer Pflanzen, der Einfuhr von bisher unbekannten Nutztieren beschäftigt – alles Dinge aus dem Umfeld des anderswo (etwa im christlichen Abendland) so verachteten Bauernstandes. „Nie vor und nach den Arabern war der Mensch mit jedem Handbreit Erde, mit den verschiedenen Reaktionen auf die verschiedenen Methoden der Berieselung an den verschiedenen Orten so vertraut,“ bringt es der Arabist Hoenerbach auf den Punkt.***
Der Westen als Erbe ‚islamisch-orientalischer‘ Kultur. Um den Wert jener Standards, die im Umfeld der ‚islamischen‘ Expansion entwickelt wurden, einschätzen zu können, muss man sich nur vor Augen führen, welche agrarischen Errungenschaften das Abendland und die Welt dem mittelalterlichen Transfer neuer Objekte, Produkte und Verfahren verdanken.
Botanische Transfers in der islamischen Welt des Mittelalters © G.Liedl
Von den Arabern in den Westen gebracht wurden der Reis und die Baumwolle, Zitrusfruchtbäume, Dattelpalmen (die noch heute in Südspanien und auf Kreta große Haine bilden), verschiedene Gemüsesorten, Gewürz- und Heilkräuter. Sogar die Banane wurde den mediterran-europäischen Klimaverhältnissen angepasst. Importiert und akklimatisiert wurden auch ertragreiche Hirsearten und das Zuckerrohr. Ebenfalls im Mittelalter gelangte durch Vermittlung islamischer Spezialisten die als Futterpflanze unschlagbare Luzerne (Medicago sativa L.) sowie der Alexandrinerklee nach Europa. Die spanische Bezeichnung der Luzerne, Alfalfa, erinnert noch an die arabische Herkunft dieser wichtigen Nutzpflanze.
An großen Nutztieren kannte Europa vor der islamischen Ära weder den Wasserbüffel noch das wertvolle Merinoschaf, das beste Wollschaf der Welt, dessen Ahnen aus dem Hohen Atlas stammen. Auch nicht die für ihr seidenweiches Haar berühmte Angoraziege, die ursprünglich in Zentralasien zu Hause ist und von islamisierten Turkstämmen nach Westen, nach Anatolien gebracht wurde. Hier auch noch das Pferd zu erwähnen, gleicht fast einer Binsenweisheit, so sehr ist die Geschichte dieses edlen Tieres mit der ‚orientalisch-islamischen‘ Welt verwoben. Heute existiert buchstäblich keine Vollblutrasse auf der Welt, die nicht Araberblut in den Adern hätte.
Erhöhen ‚Bücher der Landwirtschaft‘ die Lernfähigkeit? Der geschätzten Naturfreundin, dem werten Naturfreund (so sie dieses Selbstgespräch bis hierher verfolgt haben) mag aufgefallen sein, dass im Verhältnis zu ihrer Bedeutung die Landwirtschaft ‚nicht-europäischer Provenienz‘ (und deren Geschichte) erstaunlich unterbelichtet ist. Gewiss liegt das zum Teil an den Quellen selbst, diese berichten lieber vom Glanz der Städte, Fürstenhöfe und Dynastien, von Kriegszügen und erfolgreichen Handelsoperationen … als vom Tun und Wirken des Landmannes und Gärtners, des Ackerbauern oder Viehzüchters.
Der wichtigste Grund aber liegt im Wesen unserer eigenen ‚westlichen‘ Einstellung – insofern sich diese nämlich einem Kulturvergleich verpflichtet fühlt, der alles mit der Messlatte des linearen Aufschwungs misst. Geschichte ‚der Anderen‘ hat sich dann fragen zu lassen, wie es um ihre … ‚Fortschrittlichkeit‘ (wahlweise ‚Produktivität‘ etc.) bestellt sei. Genau dagegen aber rebelliert das Wissen von der dunklen Seite besagter ‚Fortschrittlichkeit‘, indem es auf etwas verweist, das meist stillschweigend übergangen wird – die Kosten (und wem sie berechnet werden: nämlich genau nicht Jenen, die sie verursacht haben).
Neuerdings werden die großen Erzählungen ‚Europäische Expansion‘ und ‚Fortschritt im Zeichen der ökonomischen Vernunft‘ relativiert – dabei verwendet man Agrar-, Umwelt-, Ökologie- und Globalgeschichte als Gegengewicht zur Modernitäts- und Fortschrittsgeschichte. Mit den Augen und in den Berichten ‚der Anderen‘ entdecken aufmüpfig Suchende statt einer fortschrittsaffinen Wirtschaftsgeschichte verschiedene ‚alte‘ Theorien und eine daraus folgende Praxis, die ihren Gegenständen mit Empathie und Respekt, das heißt auf Augenhöhe begegnet. Wo Tiere, Pflanzen, Wasser, Boden, Landschaften und deren Bewohner nicht bloß als Objekte wissenschaftlicher Neugier eine Rolle spielen (das natürlich auch), sondern dem Menschen gleichberechtigt zur Seite gestellt sind: als Teilnehmer am Spiel des Lebens und der Geschichte. Und die famosen Bücher der Landwirtschaft? Nun. Im Vergleich zum historisierenden Lob des Fortschritts (inklusive Agrobusiness und Lebensmittelindustrie) ist deren Lektüre einfach wohltuend und erfrischend.****
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* Schuh 2008 = Bernd Schuh: Das visuelle Lexikon der Umwelt. Hildesheim 2008
** De Schutter 2011 = Olivier De Schutter: Agroecology and the Right to Food. Report presented at the 16th Session of the United Nations Human Rights Council [A/HRC/16/49], 8 March 2011 (PDF)
*** Wilhelm Hoenerbach: Das granadinische Sultanat in seiner Agrarstruktur. In: Der Islam 64 (1987), 231–260
**** Gottfried Liedl / Peter Feldbauer: Al-Filāha – Islamische Landwirtschaft. Mandelbaum Verlag: Wien 2017 (Download)
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Weil ich gerade ziemlich gut gelaunt bin, juckt es mich, euch ein typisches Gericht der Kategorie 'Politik, Gier & Kaltschnäuzigkeit' zu servieren. Als Dessert gibt es das Gegenbeispiel aus der Welt der WIRKLICH Mächtigen: aus der Finanzwelt. Bon appétit!
Black or green. Von Politikern und Investoren. Da ist dieses Ölförderprojekt in Uganda. Das Projekt – mit Hunderten geplanter Ölbohrungen teilweise mitten in Naturschutzgebieten – stößt selbst bei den Investoren auf einige Skepsis. Schon halten mehrere Banken und Versicherer ihre Unterstützung für Projekt und Pipeline zurück.
Diese Verzögerung macht das Konsortium, das hinter dem Projekt steht, nicht wirklich froh. Die Regierungen von Uganda und Tansania, die französische Ölfirma TotalEnergies SE, die chinesische Cnooc Ltd. und die übrigen Beteiligten bringen vor, dass die 900 Meilen lange East Africa Crude Oil Pipeline (EACOP) Tausende von Arbeitsplätzen schaffen und Milliarden von Dollar an Staatseinnahmen generieren wird.
Ja eh. Das Argument ist so bekannt wie ambivalent: Der reiche Norden missgönnt dem armen Süden dessen Entwicklung. Das Gegenargument ist aber auch nicht ohne: Die Pipeline wird täglich 216.000 Barrel von den Ölfeldern zu Terminals an der Küste des Indischen Ozeans transportieren, wo sie ins Ausland exportiert werden – oft in Länder, die dafür ihre eigene Produktion fossiler Brennstoffe einschränken können. „Das verdeutlicht die Ungleichheit, die auf globaler Ebene besteht,“ so die Projektgegner. „Im ‚armen Süden‘ umweltschädlich geförderte Ressourcen decken den Energiebedarf des globalen Nordens, der dadurch von eigenen fossilen Brennstoffen leichter Abschied nehmen kann. Der Süden bleibt in einer Wirtschaft mit fossilen Brennstoffen gefangen und seine Bevölkerung muss die gesamten sozialen und ökologischen Kosten tragen.“ Aber keine Angst, Old Industry. Die Finanzierung steht. Chinas Exim Bank und zwei afrikanische Unternehmen, die anonym bleiben wollen, seien bereit, die Pipeline zu finanzieren, so Ugandas Energieministerin gegenüber Reportern in Kampala.*
Tausende Meilen weiter nördlich haben Finanzdienstleister recht konkrete Ansichten zum Thema Klima-Risiko. In der Londoner Zentrale von Standard Chartered Plc setzt man sich selbst, wenn es um bestimmte Kredite geht, eine Frist von längstens zehn Jahren. Das sei der Zeitrahmen, in dem Verluste aus Krediten an kohlenstoffintensive Industrien – diejenigen, die am meisten für die globale Erwärmung verantwortlich sind – für die Bank zum Problem werden könnten. Die Analyse basiert auf zu erwartenden Kreditverlusten unter Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen von 1,5 °C-Klimaszenarien, wie sie von der Internationalen Energieagentur skizziert werden.
„Dieser Bericht von seltener Offenheit war aufschlussreich. Für die acht Sektoren mit den höchsten Emissionen – darunter Öl und Gas, Kohlebergbau, Schifffahrt und Aviation – legte die Bank mögliche Kreditverluste in Höhe von insgesamt 603 Millionen US-Dollar […] offen. [… Dabei waren noch] im Jahr 2022, als die Temperaturen in London zum ersten Mal die 40-Grad-Marke überstiegen und ein Drittel Pakistans von Überschwemmungen betroffen war, Klimarisiken für die Bank finanziell irrelevant“ (Alastair Marsh: A rare look inside a bank's climate crisis calculus). So schnell kann’s gehen.**
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Quelle:
* Bloomberg Green, Newsletter vom 5.6.2023
** Bloomberg Green, Newsletter vom 7.6.2023