Sind Förster die besseren Bauern? Bundesforste, Bär & Co.

Gottfried Liedl am 5. Juli 2023

Dazu BLOG # 11 vom 2. Dezember 2022 (Bison, Wisent und der Rest – wer sie wirklich gerettet hat); BLOG # 12 vom 5. Dezember 2022 (zum Wisent-Skandal)

„In Wirklichkeit mögen Bauern die Natur ja gar nicht.“ – „Ich weiß, dein Credo. Dein ‚Ceterum censeo‘. Dein ländliches Trauma.“ – 

„Weniger Trauma als Erkenntnis. Ich schlage die Zeitung auf: Wandernder Bär verliert auf bayrisch-tirolerischer Alm sein Leben. Der Wolf als Volksfeind … neue Bauernkriege … Seeadler vergiftet aufgefunden … Luchs im Nationalpark gewildert … Da legt man die Zeitung am besten gleich wieder weg.“ – „Und widmet sich seiner Misanthropie?“ – „Sozusagen.“

Kulturgut Böser Wolf. Es erscheint logisch, dass Hirten keine Freunde anderer Beutegreifer sind. Die Formulierung ist mit Bedacht gewählt: es scheint so. Denn von welchen Hirten sprechen wir? Denen auf dem Balkan, in Griechenland? Den italienischen? Den Hirten in Spanien? Nicht dass man dort Meister Petz und Isegrim Lobeshymnen singt … aber ausgerottet hat man sie nicht. (Man muss ja nicht gleich zum Mongolen werden, der den Wolf nicht nur nicht verfolgt sondern schätzt: als Gesundheitspolizist seiner Herden).

Der Böse Wolf ist Ausdruck einer kulturellen Befindlichkeit. Charaktertier einer Geschichte, worin der ländlichen Gesellschaft nördlich der Alpen die Zerstörung eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete der Erde – Cäsar und Tacitus sind Zeugen – als ‚Agrarrevolution des Mittelalters‘ gutgeschrieben wird. Als sich dann anstelle der alten, locker und nachhaltig bewirtschafteten (daher auch nur sogenannten) ‚Wildnis‘ die neuen Siedlungen, Felder, Wiesen und Weiden dicht an dicht zusammendrängen, bleibt für Hase, Wildschwein, Reh und Hirsch kein Platz (erst recht nicht für Wolf, Bär und Luchs). Richtig ist, dass die mittelalterliche Agrarrevolution zu erstaunlichem Bevölkerungswachstum führt. Richtig ist aber auch, dass dies auf Kosten des Waldes geschieht, auf Kosten einer Jahrtausende alten (das Wort ist vielleicht gar nicht so weit hergeholt) Harmonie. Einer Convivencia, eines Zusammenlebens von Mensch und Natur (anscheinend kam man ja ganz gut miteinander aus). Als dann die Jäger und Köhler den Hirten und Bauern, den Rindern, Schafen und Ziegen weichen mussten, entstand die ‚zivilisatorische‘ Erzählung vom Bösen Wolf. Wo man sich auf die Füße tritt (und aus Armut selbst Grenzertragsböden unter den Pflug nimmt), gedeihen Lehrstücke des Neides und der Eifersucht. Historische Abläufe lassen sich nur schwer zurückbiegen. Traditionen schon gar nicht. Die einmal angenommene Attitüde bleibt. Selbst dann, wenn es den Grund dafür längst nicht mehr gibt.

Des Einen Leid, des Andern Freud‘. Wer sich nicht vor dem bösen Wolf fürchtet. Aufmerksam im Weltweiten Netz unterwegs, stößt man nicht nur auf Banalitäten sondern manchmal sogar auf Bezeichnendes, ja einigermaßen Überraschendes. Etwas, das man so nicht erwartet hätte, ist zum Beispiel die Broschüre der Österreichischen Bundesforste mit dem schlichten Titel Aktiv für große Beutegreifer: Bär, Luchs und Wolf.

Broschüre des WWF und der Bundesforste, 2. überarbeitete Auflage, Februar 2017 (PDF)

„Die großen Beutegreifer haben jahrhundertelang die europäische Landschaft besiedelt und sind daher Teil der europäischen Fauna. Auch in Österreich sind Bär, Luchs und Wolf als autochthone Tierarten Bestandteil heimischer Ökosysteme. Wissenschaftliche Studien belegen auf eindrucksvolle Weise, dass es in Österreich noch ausreichenden und aus ökologischer Sicht geeigneten Lebensraum für Bär, Luchs und Wolf gibt“ (Aktiv für große Beutegreifer, Einleitung, Seite 3). – So weit, so eindeutig. Zumindest aus – wie man es ausdrücken könnte – ‚wissenschaftlich-neutraler‘ Sicht. Der Tiroler oder Kärntner Herdenbesitzer würde den Sachverhalt wohl ein wenig anders formuliert haben.

Das Spannende an der Angelegenheit ist der Interessensgegensatz. Zu Wolf, Bär und Luchs haben Förster und Försterinnen eine ebenso klare Meinung wie die Leute aus der Landwirtschaft – nur anders herum: „Große Beutegreifer spielen bei dem Ziel, die biologische Vielfalt zu erhalten und die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen zu sichern, eine wichtige Rolle. […] Die Rückkehr der Wölfe [… führt zu] einer dramatischen Verminderung der Verbissschäden am Wald“ (Einleitung, Seite 5). Wer sich regelmäßig mit Forstleuten unterhält, wird auch keine andere Antwort erwartet haben – bezüglich der Beutegreiferfrage ist im Walde alles gut, was auf Wiesen und Weiden schlecht ist. Jede Hilfe gegen den (in den Augen der Waldverantwortlichen viel zu hohen) Bestand der Jungbäume äsenden und Rinde schälenden Rehe oder Hirsche ist willkommen. Und wer meint, das könne der menschliche Jäger ebenso gut, wird zumindest bei Forstleuten mit dieser Meinung nicht sehr weit kommen. Die haben ihre eigenen Erfahrungen mit überhöhten Wildbeständen und nicht erfüllten Abschussplänen.

Das große Spiel der Antagonisten. Die Seiten und Rollen sind klar verteilt, je nachdem, welchen Anspruch auf welchen Teil der Landschaft jemand macht; selbst im Wald ‚spießt es sich‘ (Jäger als unzuverlässige Helfer der Forstleute haben wir schon erwähnt, einig sind sich diese mit den Waldleuten nur bezüglich Mountainbiker und anderer Sportler: „Die gehören weg.“)    

Die Eingangsfrage, nochmals gestellt: Sind Förster die besseren Bauern? Sie sind es, wenn man ins Treffen führt, dass es auch in der Frage der großen Beutegreifer um den Interessensausgleich aller Naturnutzer geht. Das vom Jäger so geschätzte Wild macht ja auch vor Feldfrüchten nicht Halt (und Wildschweine im Maisfeld stehen eher nicht auf dem Wunschzettel des Bauern, der Bäuerin). Dies bedenkend, sollten gerade die agrarischen Gewinnmaximierer für Wildschwein-verzehrende Wölfe Verständnis aufbringen. 

Kein Verständnis für Bär, Wolf & Co. darf man vom – notabene alpinen – Touristiker erwarten, nicht selten in Personalunion auch als Hütten- oder sonstiger Wirt in Erscheinung tretend. „Aber das Vieh! Schafe und Kühe sind für eine klimafitte Offenlandschaft im Gebirge unverzichtbar. Deine geliebten Wölfe bedrohen unsere kostbaren Almen.“ – „Und der klimafitte Bergwald? Der dafür sorgt, dass deine für die Volkswirtschaft so unverzichtbare Schihütte nicht eines Tages unter Geröll- und Schneelawinen verschwindet? Und wenn wir schon dabei sind – welchen Beitrag für eine klimafitte Almlandschaft leisten Schipisten, Lifttrassen und Beschneiungsanlagen?“

Wir fassen das Streitgespräch seinen Grundsätzen gemäß zusammen. Wolf, Bär & Co. sind gut für den Wald, schlecht für Tiere der Almen (und ergo dessen auch nicht eben förderlich für deren menschliche ‚Beschützer‘ – Beschützer in Anführungsstrichen, wohlgemerkt; das gilt insbesondere für jene ‚Beschützer‘ der Berglandschaft, welche dieselbe so ungemein, um nicht zu sagen unverschämt idyllisch darzustellen pflegen, dass man am Wahrheitsgehalt besagter Darstellung zweifeln darf). Den Argumentenmix erweiternd und noch zuspitzend mag ein kritischer Geist anführen, dass – immer gemäß der oben angewendeten Logik – auch Mountainbiker, Schifahrer und Bergsteiger ‚schlecht‘ sein können – für Almen und Wälder. 

Verwirrspiel der Stellvertreter und Vorgeschobenen. Bleibt noch die Frage zu klären, wer die eigentlichen Gewinner oder, je nach Perspektive, Verlierer sind (und ich meine jetzt nicht Luchs, Bär und Wolf …). Anders gefragt: Wer steckt hinter den Bauern? Und wer hinter den Bergbauern?

Auf die erste Frage mag die Anwort lauten: Großagrarier und Rohstoffbörsianer. Auf Frage zwei: Großtouristiker und Ortskaiser.

Na also. Nichts ist wie es scheint. Nein, nichts ist wie uns glauben gemacht wird, dass es sei. Fragen über Fragen. Übrigens: Von Kühen ist bekannt, dass sie prinzipiell nicht abgeneigt sind, Touristen – also die vielzitierten zahlenden Gäste – zu töten (und von Bären scheint dasselbe für Jogger zu gelten). Von ähnlichen Gelüsten bei Wölfen schweigt die Chronik. Jedenfalls bis dato.

Der Wolf im Schafspelz oder: Dubai im Weinviertel. Wölfe und Bären wollen wir nicht auf unseren Wiesen und Weiden sehen. Wölfe und Bären fressen unser Vieh. Und ohne unser Vieh würden die Almen verschwinden! So spricht der moderne Landwirt. Er wäre aber nicht ‚moderner Landwirt‘, könnte er nicht auch ganz anders. Dann ist das mit der Erhaltung und Bewahrung gleich viel weniger ernst gemeint.

„In Grafenwörth werden hunderte Häuser auf die Wiese gebaut – trotz Klimakrise und schwindender Böden. Der Bürgermeister – und Präsident des Gemeindebunds – freut sich. Er hat viel Geld verdient. Hunderte Häuser stehen aufgefädelt am Wasser. […] Das Rendering erinnert an Dubai, an die prahlerisch grünen Wohnanlagen mitten in der Wüste. Doch das Baufeld liegt nicht in der Wüste. Es bettet sich in satte Futterwiesen, Kornfelder, Äcker. […] Es ist ein Projekt, das in Zeiten der Klimakrise und schwindender Böden niemand für möglich gehalten hätte. [… Der Bürgermeister] hat damit viel Geld verdient.“ Die Details gleichen den Phänomenen, die man von anderen vergleichbaren Vorgängen ‚auf dem Lande‘ gut genug kennt; sie können bei Bedarf (oder wenn der Blutdruck zu niedrig ist) nachgelesen werden.*

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* Das Dubai vom Weinviertel. Wiener Zeitung, Online-Ausgabe vom 3.7.2023 (LINK)

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Man kann sich auch wehren. Postscriptum zur Erbauung sensibler Weltbürger. Das Faktum ist nicht neu, wohl aber die Reaktion darauf. 50.000 Elefanten jährlich (bei derzeit noch etwa 450.000 Exemplaren weltweit) kostet die Gier nach Stoßzähnen das Leben – besser gesagt die Gier nach ziemlich risikolos ‚erwirtschafteten‘ hohen Renditen.  Damit sich das Risiko zumindest für die kriminellen Banden und korrupten Beamten, welche die begehrte Schmuggelware den ausländischen Großinvestoren verfügbar machen, signifikant erhöhe, ist seit einiger Zeit ein Team von verdeckten Ermittlern in neun afrikanischen Ländern tätig. Männer und Frauen, die ihrerseits jedes erdenkliche Risiko auf sich nehmen, um die kriminellen Netzwerke zu infiltrieren und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen, arbeiten, wie es heißt, „äußerst effektiv und zerschlagen illegale Elfenbein-Syndikate, die bis zu 100.000 Elefanten auf dem Gewissen haben“.*

Möge ihnen der Elefantengott weiterhin Glück bringen und Erfolge bescheren.

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* Avaaz, Newsletter vom 4.7.2023